K3 No. 3 - Mai 2018

| 03 | 2018 21 Fachkräftemangel Schwerpunkt aus Überzeugung tut, was sie gelernt hat, und von dessen Wirksamkeit sie überzeugt ist. Man muss bereits die Studierenden – später dann die Absolventinnen und Absolventen – ernsthaft fragen und drängen, aus ihrem theore- tischen Wissen eine Handlungsperspektive zu entwickeln. Sie müssen ihre Argumentationsketten dann auch praktisch erproben und danach handeln. Würde man so handeln, würden die Sozialpädagoginnen und -päda- gogen die Dinge zu ihren Angelegenheiten machen. Sie dürfen die Konfrontation nicht scheuen und keine Angst davor haben, falsch zu handeln. Pädagogische Praxis hat nichts mit Auswendiglernen zu tun, sondern vielmehr mit Haltung. Es gibt immer noch Pädagoginnen und Pädagogen, die in ihren Einrichtungen Alkohol ausschenken und das für eine freizeitpädagogische Methode halten, oder sie denken, dass der Spruch „Fuck you bitch“ Jugendkultur ist. Sind solche Absolventinnen und Absolventen dann überhaupt für die Jugendarbeit geeignet? Nehmen wir ein banales Beispiel: Ein Jugendlicher benimmt sich in der Einrichtung so daneben. Alle sinnvollen pädagogischen Interventionen sind ausgeschöpft … eigentlich bliebe nichts anderes, als die Polizei zu verständigen. Die Kolleginnen und Kollegen tun in dieser Situation sehr häufig das Falsche und holen keine Polizei, weil das aus ihrer Sicht einem pädagogischen Scheitern gleichkäme. Doch sie handeln nicht falsch – darauf kommt es auch gar nicht an. Es geht um die Einschätzung, das Richtige in der entsprechenden Situation zu tun. Hat diese Angst vor pädagogischem Versagen mit mangelnder Lebensreife zu tun? Das liegt nahe, wenn man den schnellen Durchlauf durch das Studium betrachtet. Die Studierenden können in dieser kurzen Zeit gar keine Lebenserfahrungen sammeln. Andererseits – und hier setzt wieder meine Kritik an der Lehre an: Man muss auch im Studium gezielt diese konfrontativen Situationen schaffen. Das passiert aber nicht, weil es für Dozentinnen und Dozenten einfacher ist, sich hinzustellen und ihr institutionalisiertes Lehrverständnis vor- zutragen. So wird verhindert, dass wir Persönlichkeiten herausbilden, die das Prinzip Erkenntnis – Wirksamkeit umsetzen. Inwieweit würden sich eigene Erfahrungen im Bereich Jugendarbeit positiv auf die Studierenden und deren Persönlichkeit auswirken? Ich freue mich über Praktikantinnen und Praktikanten, die auspro- bieren wollen. Damit bleibt man offen für die Vielgestaltigkeit der pädagogischen Praxis. Ein anderer Punkt ist mir noch wichtig. In meiner Abschlussrede an der Stiftungsfachhochschule von 1995 hatte ich vor meinen damaligen Kommilitoninnen und Kommilitonen genau dieses Thema angespro- chen – der Wert und die Herausforderungen an unsere Profession und ihre Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit. Seither gab es unzählige Gespräche, Podien, Fachtage und Artikel – es ist eine Menge belastbarer Literatur entstanden. Geändert hat sich fast nichts. Der Berufsstand muss sich aber selbst definieren und viel enger und organisiert zu- sammenstehen. Das ist auch ein Kerngedanke der leistungsgerechten Bezahlung. Wenn ich mit Kolleginnen und Kollegen zusammensitze, erlebe ich leider oft, dass man es sich gemütlich in seinem Arbeitsfeld eingerichtet hat und kaum Interesse zeigt, seinen eigenen Anspruch zu hinterfragen. Jetzt mal ehrlich: sozialarbeiterische Forderungen und Befindlichkeiten zu kontern, gehört nicht zu den extremen Herausforderungen der Politik. Was kann man vor Ort tun? Ich lade alle Bewerberinnen und Bewerber erst einmal ein. Ich sehe uns Fachkräfte aus aller Welt Den diakonischen Auftrag im Blick Die Innere Mission München ist divers. In den Arbeitsbereichen und Firmen der Unternehmensgruppe München arbeiten Menschen aus etwa 80 Nationen. Sie kommen aus nahezu allen europäischen Ländern, die meisten aus Deutschland (73,2 Prozent) und den Balkan-Staaten (13 Prozent). Auch 16 asiatische Länder sind zu nennen, aus denen 6 Prozent un- serer Beschäftigten kommen. Schließlich stammen weitere unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Afrika, Amerika und Australien. Damit ist schon klar: Der Bedarf an Fachkräften kann aktuell und zukünftig nicht allein über den heimischen Arbeitsmarkt abgedeckt werden. Der gesetzlich formulierte Anspruch auf einen Platz in einer Kindertageseinrichtung hat einen Bedarf an Fachkräften generiert, der auch durch massive Steigerungen der Ausbildungskapazitäten nicht gedeckt werden kann. Allein die Fachakademie für Sozialpädagogik in München wird ab September 2018 ihre Kapazitäten verdoppeln. Bedürfnissen der Kinder entsprechen Natürlich stellen wir gern Fachkräfte ein, die Mitglieder einer Kirche sind. Da aber nicht alle Stellen besetzt werden können, erhalten auch muslimische oder konfessionslose Erzieherinnen und Erzieher einen Arbeitsvertrag. Dabei spielt nicht nur der hohe Bedarf eine Rolle. hier in der Verantwortung, einen Ausbildungsauftrag wahrzunehmen, auch wenn das viele bestreiten würden. Ich will aber Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für unseren Berufsstand herausbilden. Insofern nehme ich mir dann gern die Zeit, diese Bewerberinnen und Bewerber durch alle Bereiche der Einrichtung zu lotsen. Am Ende sollen sie sagen, dass sie für diese Aufgabe brennen – oder eben nicht. Bliebe die Möglichkeit, dass der Kreisjugendring München-Stadt – zusammen mit anderen großen Trägern – selbst für die Ausbildung sorgt … Eine eigene Hochschule wird der KJR selbst sicher nicht betreiben können. Aber eine ähnliche Idee hatte ich schon mal angesprochen. Es gäbe in meinem Tätigkeitsfeld in der Schulsozialarbeit beispielsweise eine kleine Mittelschule. Hier könnte man Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter, die beim KJR anfangen wollen, zunächst für zwei Wochen fitmachen. Ganz nebenbei würde man so auch für einen perfekten kollegialen Austausch sorgen. Eine ernsthafte Reaktion habe ich auf diesen Vorschlag leider noch nicht bekommen. Ich bleibe dabei: Was wir brauchen, sind nicht nur mehr Fachkräfte, son- dern vor allem solche, die wissen, warum sie in bestimmten Situationen genau so handeln und was das mit ihrer eigenen Haltung und Profession zu tun hat. Und es gibt sie – die „Lichtgestalten“. Ich bin ihnen in Praktika in unserem Haus begegnet, habe mit ihnen gearbeitet. Heute sind sie im KJR tätig und haben verantwortungsvolle Positionen inne. Interview: Marko Junghänel Lesetipp: Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V. (DBSH): „Profession – Anspruch und Wirklichkeit“ (Ausgaben 4/2017-1/2018).

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