K3 No. 3 - Mai 2018
| 03 | 2018 19 Fachkräftemangel Schwerpunkt glücklicherweise in den Natur- und Geisteswissenschaften an den Universitäten nicht wirklich vollzogen. Die Bachelor-Abschlüsse an den Universitäten – anders als an den (Fach-)Hochschulen – konnten sich dementsprechend auf dem Arbeits- markt nur unzureichend durchsetzen. Auch für die höhere Beamtenlauf- bahn reicht ein BA-Studium nicht aus. Die deutschen Industrie- und Handelskammern haben festgestellt, dass die Unternehmen mit den BA-Absolventen zunehmend unzufrieden sind. Das wichtigste Indiz für eine Fehlsteuerung ist jedoch, dass trotz einer Absenkung der Standards an den Universitäten, der Modularisie- rung und Verschulung die Abbruchquoten deutlich angestiegen sind. Wenn man die Abbruchquoten pro Fach zugrunde legt, ergeben sich teilweise extrem hohe Zahlen. Kein Praxisbezug geboten Erfahrene Hochschullehrkräfte wissen, dass der Anteil der Studieren- den deutlich gestiegen ist, die sich mit der Lektüre wissenschaftlicher Texte schwer tun und das Abstraktionsvermögen nicht haben, das er- forderlich ist, um die Grundlagen der jeweiligen Disziplin zu verstehen. Bei Studienanfängerquoten von fast 60 Prozent ist auch nicht zu erwarten, dass die meisten ein wissenschaftliches Interesse antreibt. Verständlicherweise will ein wachsender Prozentsatz eine gediegene Berufsvorbereitung erhalten, die aber in den Geistes- und Naturwissen- schaften mangels unmittelbarem Praxisbezug nicht geleistet werden kann. Manche Bildungsexperten empfehlen Deutschland, sich am Vorbild Großbritanniens zu orientieren: eine zwölfjährige Schule für alle, einige wenige Elite-Universitäten, Aufbau eines Bildungsmarktes. Der Vergleich ist interessant: Obwohl die Gesamtarbeitslosigkeit in Großbritannien nicht höher ist als in Deutschland und es sich um eine dynamische Volkswirtschaft handelt (jedenfalls bis zum Brexit), ist die Jugendarbeitslosigkeit mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland. Mittelschicht überwiegend Nichtakademiker Selbst das skandinavische Musterland Schweden mit hohen Bil- dungsausgaben und einer hohen Akademisierungsquote hat eine rund drei Mal so hohe Jugendarbeitslosigkeit wie Deutschland. Es kann kein Zweifel bestehen, dass die Hochschulbildung als Paradeweg in den Beruf nicht funktioniert. Länder mit einer hohen Akademisierungs- quote tendieren zu einem zweigeteilten Arbeitsmarkt: die einen, ohne College-Abschluss, jobben und die anderen, mit College-Abschuss, haben im günstigen Fall einen Beruf. Die einen sind vom ökonomischen Fortschritt abgekoppelt, in den USA haben die Arbeitnehmer ohne College-Abschluss seit den 1970er Jahren keine Reallohnsteigerung mehr erfahren. Die anderen haben wenigsten die Chance, am Fortschritt teilzunehmen. In Deutschland ist die Mittelschicht dagegen überwiegend aus Nichtakademikern zusammengesetzt. Dies trägt zur sozialen und po- litischen Stabilität bei. Was tun? Interessanterweise ist der rasante Zuwachs der Studierendenzahlen seit 2013 in Deutschland gestoppt. Kultur gleicher Anerkennung Die Selbstkorrektur des Systems über Abbruchquoten, die Erwar- tung der Studierenden, ein anspruchsvolles Studium absolvieren zu können, aber vor allem die wachsende Anerkennung gegenüber nicht-akademischen Qualifikationen und Berufen lässt hoffen, dass der große Vorteil des deutschen Bildungssystems nicht verloren geht: eine berufliche Bildung, die eine praxisnahe Ausbildung im Betrieb mit einem begleitenden Besuch der Berufsschule verbindet, sowie ein wissenschaftsorientiertes Studium, das für Aufgaben innerhalb und außerhalb der Wissenschaft qualifiziert. Auswirkungen des Personalmangels im Kita-Alltag Vom Erfolg überrannt Viel mehr Kindertageseinrichtungen und -plätze erfordern deutlich mehr qualifiziertes Personal 2008 arbeitete ich als Leiterin einer Kita. Zur Eröffnung einer zweiten Krippengruppe kam die Presse auf mich zu. Durch Zufall fiel mir der daraus entstandene Artikel nun wieder in die Hände. Schon damals hatte ich geäußert, dass gutes Personal nur schwer zu finden sei und sich offene Stellen kaum noch gut besetzen ließen. An dieser Situation hat sich bis heute nichts geändert. Über Jahre hinweg stand in Deutschland der quantitative Ausbau von Betreuungs- plätzen im Vordergrund, denn der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz in einer Krippe bzw. in einem Kindergarten wurde per Bundesgesetz geregelt. Über die konkreten Rahmenbedingungen der Umsetzung müssen aber die Länder selbst entscheiden. Die Zahl der verfügbaren Plätze ist deutlich angestiegen. Zwar wurde im Zuge dieses Ausbaus der Anstellungsschlüssel von einer pädagogischen Fachkraft für durchschnittlich 12,5 Kinder auf aktuell ein Verhältnis von 1 zu 11 angepasst. Der Personalbedarf aller Träger und Einrichtungen kann jedoch trotz gleichzeitig gestiegener Ausbil- dungszahlen längst nicht mehr gedeckt werden. Um eine neue Balance zwischen beruflicher und akademischer Bil- dung zu erreichen, müssen sich die weiterbildenden Schulen breiter aufstellen, ihren Bildungsbegriff ergänzen. Handwerkliche und tech- nische, soziale und ethische, aber auch ästhetische und gestalterische Kompetenzen sind von gleicher Bedeutung wie kognitive und wissen- schaftliche. Wir sollten eine Kultur gleicher Anerkennung praktizieren, in der die unterschiedlichen Begabungen, Fähigkeiten und Interessen gleichermaßen gefördert werden, in der die Goldschmiedemeisterin nicht weniger zählt als der Masterabsolvent. Dies muss sich zunehmend auch in den Vergütungssystemen nieder- schlagen. Das duale System der beruflichen Bildung sollte nicht zum Ladenhüter verkommen, sondern zum Exportschlager werden. Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, LMU München Bild: G erhard Wellmann, pixelio.de
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