K3 No. 3 - Mai 2018

Dachzeile | 03 | 2018 18 das kommt Fachkräftemangel Schwerpunk Warum der Akademisierungswahn ein Ende haben muss Das wäre ein wirklicher Exportschlager Aus Sicht der USA oder Großbritanniens gibt es in Deutschland ein paar schwer verständliche Merkwürdigkeiten: Stadtsparkassen, erlaubter (öffentlicher) Bierkonsum ab 16 Jahren, Sex ab 14 Jah- ren und das duale System der beruflichen Bildung gehören dazu. Das duale System ist der Kern der beruflichen Bildung in Deutschland. Bis 2006 führte die Lehre die große Mehrheit eines Jahrgangs in den Beruf. Dann gab Deutschland zunehmend dem internationalen Druck, ausgeübt vor allem vonseiten der OECD, aber auch der EU, nach und nahm sich die hohen Akademisierungsquoten der USA oder Großbri- tanniens zum Vorbild. Innerhalb von sechs Jahren schnellte daraufhin der Prozentsatz der Studienanfänger pro Jahrgang um 60 Prozent nach oben. Das, vor dem ich zur großen Verwunderung mancher schon 2010 öffentlich gewarnt hatte, trat ein: ein zunehmender Mangel an Nachwuchs in den Ausbil- dungsberufen. Unterdessen sehen sich manche Branchen durch diesen Nachwuchsmangel in ihrer Existenz bedroht. Gelten heute nur noch Menschen mit Abitur und abgeschlossenem Studium etwas? Universitäten durchgängig wissenschaftsorientiert Die Nachahmung vermeintlicher internationaler Vorbilder führte zu einer massiven Fehlsteuerung. Während rund 80 Prozent aller Studieren- den in den USA an Colleges lernen, an denen es keine Forschung gibt, sind die Universitäten in Deutschland durchgängig wissenschaftsori- entiert. Ihr Personal hat sich über wissenschaftliche Leistungen quali- fiziert und kommt in den meisten Fakultäten nicht aus der beruflichen Praxis. Die im Bologna-Prozess angestrebte Umstellung auf überwiegend berufsorientierte Studiengänge musste in den Geistes- und Naturwis- senschaften schon am Fehlen des geeigneten Personals scheitern. Zudem ist das zweistufige Studium – zunächst praxisorientiert und berufsvorbereitend in drei Jahren, dann wissenschaftsorientiert in zwei Jahren – mit den natur- und geisteswissenschaftlichen Fächerkulturen Mitteleuropas unvereinbar. Es macht die besondere Qualität der Geistes- und Naturwissenschaf- ten aus, dass die Studierenden über vier oder fünf, in der Praxis meist sechs Jahre ein durchgängiges Studium absolvieren, das in der Regel mit der Erarbeitung der theoretischen Grundlagen beginnt. Unternehmen zunehmend unzufrieden Ein Studium dieses Typs vermittelt die Kompetenz des kritischen Selbstdenkens und Problemlösens, die sich nicht nur für den wissen- schaftlichen Nachwuchs, sondern auch für verantwortliche Aufgaben außerhalb der Wissenschaft bewährt. Die Trennung in berufs- und wissenschaftsorientierte Studiengänge legt die Axt an dieses Erfolgsmodell der Hochschulbildung und wurde werden. Außerdem müssten neue Zugänge zum Berufsfeld der Sozialen Arbeit geschaffen werden. Das könnte durch berufsbegleitende Stu- diengänge für Quereinsteiger geschehen. Schließlich muss die Frage nach verfügbarem und bezahlbarem Wohnraum in München gelöst sein. Hier würde es beispielsweise helfen, wenn der KJR Zugriff auf den Pool städtischer Wohnungen bekäme. Wie wird es weitergehen? Wir werden weiterhin für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und das damit verbundene attraktive Arbeitsfeld werben. Arbeitgeber werden sich künftig noch stärker an den Bedürfnissen der Beschäftigten orientieren – etwa in der Frage von Arbeitszeitmodellen oder der Er- möglichung von befristeten Auszeiten von der beruflichen Tätigkeit. Die Fachlichkeit in unseren vielfältigen Arbeitsfeldern steht nicht zur Debatte. Nur mit qualifiziertem Personal lassen sich die anstehenden Aufgaben lösen. Interview: Marko Junghänel Bild: adel, pixelio.de

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