K3 No. 2 - März 2018
| 02 | 2018 23 Gerechtigkeit & Armut Schwerpunkt Ungleich verteilte Chancen Wegen der hohen Vulnerabilität in frühen Lebensphasen stellt Ar- mut in jungen Jahren ein erhebliches Risiko für die psycho-physische Entwicklung dar. Betroffen sind sowohl organische und wachstumsbe- zogene Prozesse wie auch die kognitive Entwicklung, die psychische Stabilität und die Persönlichkeitsentwicklung. Entsprechend sind die Chancen auf Teilhabe ungleich verteilt: Zwar beeinflussen auch Herkunftseffekte wie familiär bedingte Unterschiede in Lerngelegenheiten und Lernmotivation den Bildungserfolg der Kinder. Konkret treffen aber schon im frühen Kindesalter die hohen Zugangsschwellen zu formaler und non-formaler Bildung, die mangeln- de Durchlässigkeit des Schulsystems und nachteilige sozialräumliche Standortbedingungen aufeinander. Sie formen hohe Hürden für ohne- hin Benachteiligte, bis hin zur intergenerationellen Verstetigung der Benachteiligung. „Es fehlt die Teilhabe an ganz einfachen Sachen. Bücher sind nur ein Beispiel. Meist sind es banalere Dinge, an denen man es festma- chen kann. Manchmal merkt man es ihnen an, dass sie aus einer ganz beklemmenden, viel zu engen Umgebung kommen. Sie haben große Schwierigkeiten, auch mit der Bewegungsfreiheit, die wir in unserer Einrichtung haben“ (Leiterin einer Hamburger Kita). Wechselwirkungen von Gesundheit und Bildung sind ein gutes Bei- spiel, wie der enge Zusammenhang zwischen dem Gesundheitsstatus des Kindes und dem Bildungsstatus der Eltern, insbesondere der Mutter, zeigt. Ein anderes ist der enge Zusammenhang zwischen Gesundheit, Sozialstatus und Schulform im Jugendalter. Bildung wird allgemein als Ressource für Gesundheit verstanden. Eine höhere Gesundheitskompetenz stellt dabei nur ein Potenzial dar, das auf hohe formale Bildung zurückgeführt wird. Weitere werden in den damit verbundenen materiellen Ressourcen gesehen (inklusive höherer gesellschaftlicher Anerkennung, weniger Belastungen am Arbeitslatz und niedrigerem Stressempfinden). Auffälligkeiten als Folge schwieriger Rahmenbedingungen Auffälligkeiten im Bereich der Entwicklungsverzögerungen und -störungen, belastendes Gesundheitsverhalten, beispielsweise bei Ernährung, Bewegung oder Medienkonsum, sind nicht vorrangig als individuelles Versagen zu verstehen. Sie sind mindestens ebenso sehr Folgen schwieriger Rahmenbedingungen wie etwa wenige Freiflächen in der direkten Wohnumgebung, höhere Lärm- bzw. Verkehrsbelastungen, seltenere, weil kostenpflichtige Mitgliedschaften im Sportverein, schwache Infrastruktur im Wohnumfeld oder fehlender Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen und -informationen und somit direkte Folgen fehlender Teilhabe an gesellschaftlichen Gütern. Dr. Antje Richter-Kornweitz, Landesvereinigung für Gesundheit & Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V. Eine ausführliche Literaturliste zum Artikel ist bei der Online-Version des K3 unter www.kjr-m.de/aktuelles/k3 zu finden. Gerechtigkeit beim Kinderspiel Spielen ist mehr als Bolzen Lange Zeit wurde bei Spielflächen für Jugendliche auf den klassischen Bolzplatz gesetzt, denn Fußball spielen ja schließlich alle, oder? Doch nun setzt sich die Erkenntnis durch, dass Jugend nicht nur aus Jungen besteht. Und auch nicht alle Jungen spielen immer Fußball; dafür manche Mädchen. Wo gibt es Spielplätze, die in der Tat als Räume zur freien Entfaltung aller geeignet sind? Die Realität hinkt diesem Konzept noch weit hinterher. Klingt das kompliziert? Nicht komplizierter als das Leben ohnehin schon ist. Dass Menschen verschieden sind, ist nichts Neues. Dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Bedürfnisse haben, auch nicht. Dass sich diese unterschiedlichen Bedürfnisse auf Spielplätzen (und zwar in jeder Altersgruppe) wiederfinden und es deswegen nicht ausreicht, für die Kleinen einen Sandkasten und eine Schaukel, für die Größeren eine Skateanlage und für alle Altersgruppen eine Wiese mit zwei Toren bereitzustellen, diese Erkenntnis brauchte Zeit und politische Nachhilfe. Zentrales Thema von Gerechtigkeit Bereits 2013 – noch vor der letzten Kommunalwahl – beauftragte der Stadtrat das Baureferat (das in München für die Planung, Errichtung und den Unterhalt von Spielplätzen zuständig ist), Kriterien für eine gen- dergerechte Spielplatzgestaltung zu erstellen. Kein einfaches Thema. Vor allem den Medien war zu diesem Zeitpunkt nicht einsichtig, warum es nötig sein sollte, Münchens Spielplätze unter dem Blickwinkel der Geschlechtergerechtigkeit genauer zu betrachten. Vielleicht dauerte es deshalb ein paar Jahre, bis das Baureferat bei diesem Thema aktiv wurde. Drei Jahre nach dem Beschluss, im Juni 2016, konstituierte sich schließlich eine Arbeitsgruppe, die Empfehlungen zur gendergerechten Spielplatzgestaltung erarbeiten sollte. Den Auftrag für ihre Arbeit erhielt die AG von der Städtischen Spielraumkommission. Die Zusam- mensetzung der Gruppe ähnelte der der Kommission selbst: Neben Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher städtischer Referate und verschiedener freier Träger haben auch Stadträte und Stadträtinnen an der Erstellung der Empfehlung mitgearbeitet. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Nun geht es darum, was der Bauausschuss des Stadtrats dazu sagt. Die Spielraumkommission hat den Empfehlungen in den meisten Punkten zugestimmt, einzelne Punkte Foto: e rysipel, pixelio.de Was bedeutet für Dich Gerechtigkeit? » … dass jeder gleich behandelt wird und zum Beispiel, dass einer, der nicht so viel Geld hat, etwas von einem anderen abbekommt, der mehr Geld hat – vielleicht durch Lottospielen. « Helene, 8 (Kinderhaus Wolkerweg)
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