K3 No. 2 - März 2018

Dachzeile | 02 | 2018 22 das kommt Gerechtigkeit & Armut Schwerpunk Sie tun dies selbst dann nicht, wenn sie eine ärztliche Behandlung dringend benötigen. Zudem können sie sich notwendige Medikamente aus finanziellen Gründen nicht besorgen. Eine Studie des Hamburger Instituts für Finanzdienstleistungen aus dem Jahre 2011 betont, dass Krankheit auch zu Schulden führen kann. So sind Krankheiten Haupt- auslöser für jede zehnte Überschuldung. Der Anteil stieg von 5 Prozent im Jahr 2005 auf 10,5 Prozent im Jahr 2011. Bei der Gruppe der 40- bis 50-Jährigen sind sogar 19,4 Prozent betroffen. Dieser signifikante Anstieg fand demnach parallel zur Einführung der Hartz-IV-Gesetz- gebung und den Eigenbeteiligungen sowie Zuzahlungsregelungen im Gesundheitssektor statt. Mortalitätsrate hat soziale Determinante Durch die genannten Aspekte hat sich auch die Sterberate von Armut betroffener Menschen in unserer Gesellschaft deutlich erhöht. Es besteht ein Unterschied in der Lebenserwartung von elf Jahren bei Männern und acht Jahren bei Frauen – gerechnet zwischen dem reichs- ten und dem ärmsten Viertel der deutschen Bevölkerung. 31 Prozent der von Armut betroffenen Männer erreichen nicht das 65. Lebensjahr. Dieses extreme Ausmaß sozialer Ungleichheit ist ein Armutszeugnis für Deutschland, das zu den reichsten Industrieländern der Erde zählt. Immer häufiger sind auch junge Erwachsene von Armut betroffen, stellt Dr. Jan Goebel vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung fest. Die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt spiegle sich im Armutsrisiko nicht wider: „Denn eigentlich würde man ja erwarten, das müsste sinken. Wenn man sich die verfügbaren Einkommen der Haushalte über die Zeit an- schaut, dann sieht man relativ deutlich, dass (…) die reichsten zehn Prozent von dieser positiven Entwicklung sehr viel stärker profitiert haben als die untersten zehn Prozent der Einkommensverteilung. Sie haben sogar in den letzten Jahren Verluste von knapp zehn Prozent hinnehmen müssen. Das lässt sich am ehesten dadurch erklären, dass wir eine Ausweitung des Niedriglohnsektors haben. Das betrifft vor allem die Zeit vor der Einführung des Mindestlohns.“ Seit einigen Jahren beschäftigt sich auch das Robert-Koch-Institut mit der Frage, wie die Gesundheit – genauer gesagt die gesundheitliche Ungleichheit – durch soziale Faktoren wie Einkommen, Bildung oder Beruf beeinflusst wird. Risikofaktor Wohnumfeld Der dort tätige Sozialwissenschaftler Thomas Lampert betont, dass Armut sich direkt auf das Risiko auswirkt, zu erkranken und vorzeitig zu sterben. Der Leiter des Fachgebiets „Soziale Determinanten der Gesundheit“ erklärt weiterhin, dass auch das Wohnumfeld eine große Rolle spielt. So ist beispielsweise die Feinstaubbelastung in herunter- gekommenen Wohnlagen meist wesentlich höher. Auch körperliche und psycho-soziale Belastungen sind bei Personengruppen, die in prekären Arbeitsverhältnissen stecken, besonders hoch. Dies betrifft vor allem un- und schlecht ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich zu Recht große Sorgen machen, wie sie in Zukunft noch ihre Kinder und Familien ernähren sollen. Michael Graber, Jugendinformationszentrum, KJR Kinderarmut lässt sich nicht nur am Einkommen festmachen Kaum ein Entrinnen „Das Erscheinungsbild ist ganz offensichtlich. Die Familien haben nicht das Geld, um ihre Kinder mit Bekleidung so auszustatten, dass es ihnen möglich ist, die Kleidung auch häufiger zu wechseln. Es gibt eine Hose, eine Jacke oder einen Mantel. Zudem zeigen sich sichtbare äußere Merkmale – Haarschnitt oder die Haltung, die Körpersprache, das Körpergewicht. Armut setzt ihr eigenes Stigma“ (Erzieher aus einer Freizeiteinrichtung im Westen Deutschlands). Gerechtigkeit kann es nur durch Mitbestimmung geben. Was bedeutet für Dich Gerechtigkeit? » Gerechtigkeit ist ein Konstrukt, welches man nicht in einem Satz definieren kann. « Artem, 19 (Jugendtreff pfiffTEEN) Was bedeutet für Dich Gerechtigkeit? » Gerechtigkeit ist die Grundlage des Königs. « Mohammad, 19 (Jugendtreff pfiffTEEN) Geht es um Kinderarmut, geht es häufig um den Mangel an materiellen Dingen. Zu Recht, denn der aktuelle Grundsicherungssatz von 240 Euro für den Lebensunterhalt eines Kindes unter sieben Jahren bedeutet materiellen Mangel. Armut in Kindheit und Jugend wirkt aber auch darüber hinaus – wie seit fast zwanzig Jahren immer wieder belegt wird. Nicht ganz so lange ist Kinderarmut mediales Thema. Dabei wird die erwähnte Transferleistung immer wieder als bekämpfte Armut gewertet. Tatsache ist jedoch: Bundesweit leben 20,2 Prozent der unter 18-Jäh- rigen (Stichtag 31.12.2016) in relativer Armut. Diese Quote verharrt seit Langem auf hohem Niveau. Auch der Zuzug von minderjährigen Flüchtlingen hat sie nur geringfügig nach oben verlagert. Zutreffend ist auch, dass bundesweit viele Schulkinder, die Transferleistungen erhalten, über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren im Grundsi- cherungsbezug feststecken. Betroffen ist von den 7- bis 15-Jährigen im SGB-II-Bezug mit 57,2 Prozent sogar die Mehrzahl in dieser Alters- gruppe. Nach repräsentativen Untersuchungen auf Basis der PASS-Daten (Panel Arbeitsmarkt und soziale Sicherung) macht bundesweit etwa ein Drittel der Kinder unter 15 Jahren über einen Zeitraum von fünf Jahren temporäre oder langandauernde Armutserfahrungen. Viel zu oft spielt dabei die Familienform, der Zuwanderungsstatus bzw. der Wohnort die entscheidende Rolle. Foto: Frank Knauer, pixelio.de

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