K3 No. 1 - Februar 2023

Dachzeile 22 das kommt | 01 | 2023 Frieden (und Krieg) Schwerpunk Was der Ukraine-Konflikt gerade Jungs vorführt Der Krieg ist männlich Mehr als ein provokanter Satz. Wie erleben Jugendliche den Krieg? Wird er zuhause thematisiert? Gibt es Berührungspunkte im Alltag? Jugendliche wissen, dass Panzer rollen, Bomben ein Land verwüsten, Menschen auf der Flucht sind und alles verlieren. Medien zeigen es – reißerisch inszeniert. Sie hören von Atombomben und dem Weltuntergang. Und natürlich machen sie Bemerkungen dazu. Ich gehe darauf ein, zerstreue Ängste und schaffe Klarheit über politische Interessen und Positionen. Warum beansprucht jemand etwas ohne Rechtsanspruch? Es geht um Solidargemeinschaften, den Wert von Demokratie und Vorstellungen von Moral. Es geht um Basiswissen weit weg vom Krieg. Pazifismus nicht um jeden Preis Es ist natürlich keine einfache Frage: Was soll ich persönlich in so einer Situation tun? Was ist richtig? Was ist verhältnismäßig? Was ist gut? Es wird einen Unterschied machen, aus welcher Perspektive man fragt, wer fragt und welche Antwort man findet. Sitzt man in Kiew, während die Stadt mit Raketen beschossen wird, oder im warmen Wohnzimmer in München. Beschäftige ich mich mit der Theorie der menschlichen Lebensführung (Ethik) hypothetisch oder wird daraus eigene Betroffenheit. Aus christlicher Perspektive ist klar: Du sollst nicht töten! Dein Gegenüber ist ein Mensch wie du; Geschöpf Gottes, einmalig. Die Band „Die Ärzte“ singt „Gewalt erzeugt Gegengewalt – hat man Dir das nicht gesagt?“ und Jesus sagt „Haltet die andere Backe hin“. Durch den Krieg in der Ukraine ist viel Bewegung in die Evangelische Friedensethik gekommen. Gewalt und Krieg sind aus evangelischer Perspektive immer nur das letzte Mittel, die Ultima Ratio. Dem stimme ich zu. Gewalt wird und kann nicht zu Frieden führen. Dennoch gibt es ein Recht und eine Pflicht zum Schutz von Menschen. Dies kann und muss die Möglichkeit zur Selbstverteidigung und den Schutz des eigenen Lebens beinhalten. Das sind die offenen Arme der Gastfreundschaft für Menschen, die flüchten, aber auch die Unterstützung der Menschen und des ukrainischen Staates mit militärischen Mitteln zur Selbstverteidigung. Meine persönliche Meinung nach dem Massaker von Srebrenica 1995 hat sich verändert. So sehr eine pazifistische Haltung als Utopie wünschenswert ist, so sehr muss auch der Schutz von Leben mit militärischen Mitteln möglich sein. Ich denke, dass das ethisch geboten ist. Diese Verantwortung heißt auch immer mit-schuldig werden beim Tun und Lassen. Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein. Und Frieden wird nicht durch Waffen geschaffen – auch nicht erhalten. Frieden ist viel mehr als die Abwesenheit von Krieg und Gewalt. Das ist ein erster Schritt. Dass aus Schwertern oder Panzern Pflugscharen werden, ist ein langer Weg und erfordert eine Kultur und eine Haltung des Respekts vor dem Leben, der Würde anderer. Die Evangelische Jugend in Bayern und der Bund der Katholischen Jugend in Bayern werden sich genau mit dieser Frage einer ethischen Bewertung des Krieges im Februar 2023 in München auseinandersetzen. Ich bin auf die Ergebnisse gespannt. M I CHA E L S T R I TAR, Jahrgang 1976 aus Fürth, Theologiestudium, Evang. Pfarrer, Dienststellenleitung EJM Dekanatsjugendpfarrer, Evangelische Jugend München Auf die Heroisierung männlicher (All-)Machtsphantasien treffen junge Menschen in vielen Bereichen des Lebens – beispielsweise beim Gaming. Damit könnte der pädagogische Prozess abgeschlossen sein. Gerade Jungs geben Putin oft recht, weil er „der Stärkere“ ist und sich nur „sein Land zurückholt“. Ein Mann holt sich sein Land: das ist mal eine Ansicht! Manche Jugendlichen finden Europa zu „anstrengend“ mit seiner „Moralkeule“, mit der es sich „immer einmischt“. Im Krieg sehen sie rücksichtslose Männer in hegemonialen Positionen, scheinbar ohne Moral. Ein Thema, worauf auch die Gewaltforschung hinweist: Der Krieg ist männlich. Ich selbst vertrete eher liberale Positionen, hisse die Regenbogenfahne, integriere „Mädchenarbeit“, fordere Partizipation und Gleichstellung. Aber dann muss ich auch beim Namen nennen, dass Kriege etwas mit der Situation der Geschlechter zu tun haben und somit mit unserem Auftrag, daran etwas zu ändern und den Jugendlichen eine andere Sicht auf Konfliktbewältigung an die Hand zu geben. Hauptsächlich mit Jungs führe ich Gespräche über ein „Regenbogenland“, wo eine Freiheit der Geschlechter – ganz geschlechtsspezifisch – in der Kritik steht. Ich habe dazu eine Fachstelle befragt, die meinte, dass der Krieg nicht nur nüchterne Aufklärung verlange, sondern dass es um unsere Werte im pädagogischen Alltag gehe, die wir eigentlich vertreten sollten und müssten. Wir stehen für Offenheit in der sexuellen Orientierung und gesellschaftlichen Frieden. Der Starke hat nicht mehr Rechte, weil er stark ist. Und ich meine hier explizit den Starken. Jungs sehen gerade wieder mal starke Männer, die sich über jedes Völkerrecht hinwegsetzen. Manche Jugendlichen kennen das aus Familiengeschichten vom „Balkan-Krieg“. Vor allem mit Jungs konnte man da schon viel über Ehre und Vaterland streiten. Manche Jugendlichen beschäftigt Chinas, andere Nordkoreas Machthaber, und der letzte amerikanische Präsident hat durch Skrupellosigkeit und seinen zur Schau gestellten Reichtum gerade die Jungs zuweilen sogar fasziniert. Miloševic’, Kim Jong-un, Xi Jinping, Trump: Mächtige Männer mit ehrgeizigen Zielen am Rande mancher Legalität, zumindest aber weit außerhalb unseres pädagogischen Auftrags. Und daneben Putin und die Männer im Iran. Wenn manche Jungs über unsere Gewaltfreiheit, unser Gendern und unsere Toleranzschwelle lächeln, dann tun sie das wegen dem, was sie andernorts sehen: Männer, die nur ihre Länder zurückholen, sexuelle Gewalt gezielt als Kriegswaffe einsetzen und ein haarsträubendes Frauenbild propagieren. Vorbild Despot? „Despoten hat es immer gegeben, da könne man nichts machen“, hörte ich zuletzt. Aber das kann nicht die Aufkündigung unseres pädagogischen Auftrags zur Folge haben, nachdem wir Mädchenanteile erhöhten und Mädchenzimmer einrichteten, die Häuser „Offen für ALLE“ wurden und in unseren Leitlinien Partizipation und Demokratie betont werden. Nach „Girls vernetzt“, „One Billion Rising“ und der Frauengleichstellungsstelle sollten wir über die Parole „der Krieg ist Foto: Ri Butov auf Pixabay

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