K3 No. 5 - Dezember 2022

| 05 | 2022 19 Nachhaltigkeit Schwerpunkt Was ist deine Vision? In der Architektur werden oft Grenzen gesetzt – nicht zuletzt durch die Bauaufgabe selbst, etwa beim zur Verfügung stehenden Platz oder in Form gesetzlicher Regelungen. Ein zentraler Punkt in der Architektur und in der Stadtplanung ist die niederschwellige Erreichbarkeit des Gebäudes; es soll sich für die Gemeinschaft öffnen. Bei öffentlichen Bauwerken sollten kapitalistische Verwertungsinteressen nie an erster Stelle stehen. Dazu kommt: Kommunen oder andere öffentliche Auftraggeber entscheiden sich immer für den günstigsten Anbieter. Das widerspricht dem Nachhaltigkeitsgedanken, denn je günstiger, desto mangelhafter und weniger nachhaltig wird das Material sein. Das muss sich ändern. Wie sollten die Nutzer*innen der Bauwerke in Planung und Umsetzung einbezogen werden? Auf den ersten Blick scheint es sinnvoll bei öffentlichen Gebäuden, die späteren Nutzer*innen so früh wie möglich zu fragen, was sie brauchen. Andererseits muss es eine Instanz geben, die über den Horizont hinausdenkt – für die nächsten 50 oder 100 Jahre. Diese Rolle muss das Architekturbüro ausfüllen. Bauwerke und ihre Nutzung verändern sich. Gebäude müssen deshalb nutzungsneutral konzipiert werden. Architektur im 21. Jahrhundert muss veränderungsfähig sein. Heißt das, Wände sollen leicht zu versetzen sein? Ein Bauwerk definiert sich zunächst durch sein Tragwerk – ein Raster aus Stützen und tragenden Wänden. Dieser Bereich kann leicht bis zu 100 Jahre genutzt werden. Dann kommt der Innenausbau; die Trockenbauwände haben eine deutlich kürzere Lebensdauer. Die nächste Stufe ist die Haustechnik, die schon nach zehn bis 15 Jahren veraltet ist, z.B. Elektroinstallation oder Lüftung. Heute neigt man dazu, die Haustechnik komplett zu „verstecken“ – etwa durch abgehängte Raumdecken. Eine Möglichkeit ist es z.B., diese Technik sichtbar und damit leichter zugänglich zu machen, ohne Decken und Wände wieder abreißen zu müssen. Noch besser, wenn so wenig wie möglich Haustechnik verbaut wird. Eine Klimaanlage ist oftmals unnötig. Leider gibt es in der Branche zu viele Lobbyisten, die ihr (umweltschädliches) Baumaterial und ihre Anlagen verkaufen wollen. Das Perfide daran ist, dass sie sich auf gesetzliche Vorgaben stützen können. Aber oft gäbe es nachhaltige und längst bekannte Lösung zur Dämmung und zur natürlichen Klimatisierung von Räumen. Wie kann man alten Gebäude ertüchtigen? Generell ist der Erhalt von Gebäuden nachhaltiger als ein Abriss bzw. Neubau. In dem erwähnten Tragwerk steckt enorm viel „graue Energie“ aus Ziegeln und Trägern. Ein Rohbau ist für den größten Teil der CO2-Bilanz eines Bauwerks verantwortlich – sollte also so lange wie möglich bestehen bleiben. Erhalt von Gebäuden ist auch kostenmäßig günstiger. Wo steht München in diesen Fragen? Global betrachtet stehen wir beim Thema nachhaltiges Bauen ganz schlecht da. Die Branche ist der größte Produzent von CO2. In Deutschland verhindern oftmals Gesetze und Verordnungen nachhaltige Architektur. Deutschland gehört zu den Ländern, wo Architektur am wenigsten nachhaltig gedacht wird, obwohl es viele gute Ansätze gibt. Aber zu deiner Frage: Eine Stadt allein kann vergleichsweise wenig tun, weil die Gesetze meist auf Bundesebene gemacht werden. Doch eine Stadt kann beispielgebend sein: eine Kommune kann eigene Richtlinien entwickeln oder Modellprojekte fördern, kann Architekturwettbewerbe initiieren oder Themen setzen – am besten natürlich unter Einbeziehung der Generationen, die nach uns kommen. München könnte auf die Symbolkraft der eigenen Stadtpolitik im Bereich Bauen und Stadtplanung setzen. Wenn nicht das reiche München, wer dann? Einrichtungen für Jugendliche könnten beispielgebend sein, z.B. durch Auslobung von Wettbewerben, um solche Gebäude CO2-neutral zu machen. Braucht man tatsächlich eine Lüftungsanlage oder genügt es, Fenster zu verbauen, die man tatsächlich öffnen kann? Wie dringlich ist dieses Problem insgesamt? Die Frage des nachhaltigen Bauens muss in weniger als zehn Jahren gelöst werden, denn der Klimawandel ist nicht mehr aufzuhalten. Hinzu kommt, dass von der Planung bis zur Umsetzung eines öffentlichen Bauvorhabens bis zu zehn Jahre vergehen können. Alles, was wir jetzt bauen, ist schon für die Zukunft und müsste anders gebaut sein. Ich finde es erschreckend, dass eine Bundesregierung mit Beteiligung der Grünen diese Aufgabe schlicht verschläft, denn wir müssen ein komplettes Wirtschaftssystem nachhaltiger machen. Ganz wichtig: wir müssen die jungen Menschen schnellstmöglich in Entscheidungspositionen bringen. Frustriert dich deine Arbeit als Architekt? Mich frustriert, dass ich so viel Zeit und Kraft darauf verwenden muss, Gesetze einzuhalten, die im Hinblick auf Nachhaltigen keinerlei Mehrwert haben. Aber abgesehen davon ist Architektur sehr spannend und ich glaube, man kann hier etwas bewegen. Interview: Marko Junghänel B E N E D I K T HAR T L aus München, Studium Architektur an der Technischen Universität München, School Of Architecture and Design Oslo und Ardhi University Dar Es Salaam, Gründer des (aktivistisches) Architekturbüro Opposite Office, seit 2022 lehrt er darüber hinaus an der Professur Architektur und Konstruktion, TU München Was bedeutet „München wird Zero Waste City“? Noch weniger ist noch mehr Während der letzten 18 Monate hat der Münchner Verein rehab republic e.V. mit einer Arbeitsgruppe rund um den Abfallwirtschaftsbetrieb München (AWM) das Zero-Waste-Konzept für die Stadt München ausgetüftelt. Jetzt ist es fertig und wurde Ende Juli bereits durch den Stadtrat beschlossen. Das Konzept umfasst einen bis 2035 ausgerichteten Handlungsplan für die Abfallvermeidung in München. Wenn München in den nächsten Jahren die Ziele des Zero-Waste-Konzepts erfüllt, kann die Landeshauptstadt Zero Waste City werden und damit dem Netzwerk Zero Waste Europe angehören. Das Zero-Waste-Konzept für München beinhaltet folgende Ziele: • Reduktion der Haushaltsabfälle um 15 Prozent pro Person, • Reduktion der Restmüllmenge um 35 Prozent pro Person und • Münchner*innen für Zero Waste sensibilisieren. „Zero Waste“ bedeutet also nicht, dass gar kein Müll mehr produziert wird, wie der Ausdruck vielleicht vermuten ließe. Vielmehr geht es darum, dass möglichst wenig Müll erzeugt wird und die Ressourcen durch Recycling, Reparieren und Wiederverwendung möglichst lange im Kreislauf gehalten werden. Unternehmen, Bürger*innen und die Stadtverwaltung sollen darauf achten, die Verschwendung von Ressourcen so gering wie möglich zu halten und damit einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

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