| 04 | 2022 37 Alle(s) inklusiv!? Schwerpunkt Wie könnte man auf sozialer und politischer Ebene Plattformen für sportliche Inklusion schaffen? Ich denke, erst einmal muss ein stärkeres Bewusstsein für das Thema ge- schaffen werden. Danach kann man dann Schritt für Schritt Ziele definieren und angehen. Kooperationen mit Settings, in denen sich diese Menschen oft in ihrem Alltag aufhalten, wie z.B. Werkstätten, könnten hilfreich sein. Einfach mal fragen, was sie eigentlich wollen. Erfahrungsgemäß sind sie sehr ehrlich und offen. Sie nehmen kein Blatt vor den Mund und werden genau sagen, was sie sich wünschen. Den Menschen muss mehr Mitspracherecht gegeben werden, um die Teilhabe zu ermöglichen. Welchen Mehrwert bietet Inklusion im Sport den Kindern und Jugendlichen, welche Veränderungen stellen Sie fest? Da gibt es einiges, was mir einfällt: Gesundheit, neue Freundschaften, Kommentar Wir sind der Randgruppenkrawall! Mich nerven Arroganz und Ignoranz der Macht. Wir müssen eine Stufe höher schalten; wir müssen frecher, lauter und sichtbarer werden. So lange die Menschen nicht selbst betroffen sind, interessiert es niemanden, wenn wir Menschen mit Behinderungen beispielsweise nicht an Veranstaltungen teilnehmen können, keinen Zugang zu nicht barrierefreien Arztpraxen oder Restaurants haben. Es ist ihnen sogar egal, wenn wir nicht zur Toilette können, weil es kaum Behindertentoiletten gibt. Man hat Menschen mit Behinderungen viel zu lange erklären wollen, dass sie eine Belastung für die Gesellschaft darstellen oder wertlos sind und deshalb keine Ansprüche stellen dürfen. Wir protestieren gegen diese Formen von Ausgrenzung, Bevormundung und Unterdrückung sowie gegen gefährliche Zustände in der Pflege. Ich stelle die Liste der Redner*innen bei unseren Demonstrationen grundsätzlich parteiunabhängig zusammen, da ich für keine Seite Werbung machen möchte. Ich will, dass sich alle Politiker*innen hinter uns stellen – unabhängig davon, in welcher Partei sie aktiv sind. Unsere Aktivist*innen stehen bei Veranstaltungen immer gleichberechtigt mit anderen Teilnehmenden auf der Bühne. Die Stimmung bei unseren bunten Randgruppenkrawall-Behindertenprotesten ist immer fröhlich und zugleich kämpferisch. Wir schicken unsere Botschaften an die deutsche Politik und machen auf die unzähligen Missstände in Behörden, im Pflegebereich, an Schulen oder in Heimen aufmerksam. Wenn ich neue Redner*innen anspreche, treffe ich auf sehr viel Offenheit; man kennt uns und mag uns. Wir werden laut und sichtbar Beim Randgruppenkrawall sprechen wir auch die finstersten Kapitel der deutschen Geschichte an. Viele Deutsche wissen vom Massenmord der Nazis an Kranken und Menschen mit Behinderungen noch immer nichts. Das Thema wird generell tabuisiert und genau deshalb reden wir darüber. Um zu verstehen, welche Kämpfe wir mit Behörden, in denen ein „brauner Wind“ weht, noch heute führen müssen, ist es wichtig, sich mit der deutschen Vergangenheit und einer tief verwurzelten Behindertenfeindlichkeit zu befassen. Dieses Wissen ist aktuell etwa im Zusammenhang mit Diskussionen um die Triage während der Pandemie wichtig. Viel zu selten wird öffentlich, zu welch gewaltsamen, respektlosen und ekelhaften Übergriffen es auf Menschen in Heimen und Psychiatrien kommt. Niemand möchte einer „lebensgefährlichen Pflege“ ausgeliefert sein oder hilflos als unfreiwilliges Sexobjekt benutzt werden. Eine fürsorgliche Gesellschaft schützt die Schwächsten und überlässt sie nicht einem eiskalten System, das nur auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist und alles Menschliche verloren hat. Es gibt die UN-Behindertenrechtskonvention, einen völkerrechtlich bindenden Vertrag, den auch Deutschland unterschrieben hat. Sie ist ratifiziert – ist also geltendes Recht; Deutschland setzt sie nur nicht um. Wir haben das Grundgesetz, das verbietet, Menschen mit Behinderungen zu benachteiligen. Doch was nützen diese Gesetze, wenn sich niemand daran hält? Wir stehen für die Achtung und den Schutz der Menschenrechte, wir stellen uns klar gegen Diskriminierung, Rassismus, Behinderten-, Homo- und Transfeindlichkeit. PAT R I C I A KO L L E R, Aktivistin für die Rechte von Menschen mit Behinderungen Laut sein, sichtbar sein, hörbar werden – denn es gibt noch viel zu tun Grafik: Randgruppenkrawall Freude, Spaß, Bewusstsein und besonders das Wir-Gefühl. Es ist für jedes Kind und für jeden Jugendlichen wichtig, ein Wir-Gefühl zu entwickeln und dieses zu fördern. Im Vereinsleben macht man nicht nur Sport, es steckt viel mehr dahinter. Und genau das soll allen zugänglich sein. Was können Sie allen Vereinen mit auf den Weg geben, die Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung oder Beeinträchtigung in ihre Gruppen aufnehmen möchten? Wir und alle anderen Teilnehmenden können so viel von ihnen lernen. Und das beruht auf Gegenseitigkeit. PA S C A L L I E B, Jahrgang 1992 aus Augsburg, Studium Sozial- wissenschaftliche Diskursforschung, PR-Fachwirt, Stellv. Jugend- sekretär, Münchner Sportjugend
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