K3 No. 2 - Mai 2022

Dachzeile 18 das kommt | 02 | 2022 Generationen Schwerpunk Generationengerechtigkeit bedeutet Klimagerechtigkeit „Wie viele Freitage noch?“ Über Nachhaltigkeit wird viel gesprochen. Selbst an der Volkshochschule wird der Kurs „Enkelgerecht leben“ angeboten. Einerseits ein tolles Angebot, andererseits traurig, dass nachhaltig zu leben für uns offensichtlich nicht mehr selbstverständlich ist. Aber was heißt nachhaltig eigentlich? dass die EU beschlossen hat, dass Atomenergie künftig als nachhaltig gilt. Zwei Generationen haben vom – kurzfristig gesehen – „günstigen“ Atomstrom profitiert. Die nächsten 40 000 (in Worten vierzigtausend!) Generationen müssen mit dem Atommüll leben. Unsere Gesellschaft, unser gesamtes Wirtschaftsmodell basiert auf der Annahme, dass wir auf Kosten zukünftiger Generationen leben dürfen. Während der beiden letzten Jahre wurde von der Jugend erwartet, dass sie sich brav an alle Corona-Regeln hält, um die ältere Generation zu schützen. Hat sich die ältere Generation in diesen zwei Jahren an Klimaschutz-Vorgaben gehalten, um die Zukunft der Jugend zu schützen? Wie können wir erwarten, dass dieser unfaire „Deal“ weiter Bestand hat? Weniger ist mehr Laut einer Berechnung des Weltklimarates aus 2018 wären bei einer Erwärmung von zwei Grad ca. 3,7 Milliarden Menschen von teils lebensbedrohlicher Wasserknappheit betroffen – auch in Mitteleuropa. Es bleiben uns noch etwa sieben Jahre, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Sollten wir diesen Wert übersteigen, wird es für die Kinder und Jugendlichen, die täglich in unseren Kitas, Freizeitstätten und Jugendverbänden ein- und ausgehen irgendwann extrem ungemütlich und sogar gefährlich. Sie tragen dann die Konsequenzen und müssen ausbaden, dass es uns jetzt zu aufwendig oder teuer ist, klimafreundlich zu leben. Wie können wir also gerechter werden? Vielleicht hilft der Blick in unsere Einrichtungen. Klimagerecht zu leben, ist wahrscheinlich das Wertvollste, was wir für die zukünftige Generation tun können. Die Entdeckung, dass dieser Lebensstil sogar Spaß machen kann und eher Bereicherung als Verzicht ist, kann uns beflügeln. Wer es geschafft hat, den „inneren Schweinehund“ zu besiegen und schon einmal stolz durch den Regen geradelt ist, weiß, wie es sich anfühlt: nass, aber gut. Wir müssen nicht perfekt sein, aber wir haben die Verpflichtung, es zu probieren, um dann die Werte und Erfahrungen authentisch an unsere Besucher*innen weiterzugeben. Wir haben die Aufgabe, Klimagerechtigkeit für unsere Zielgruppen verständlich, greifbar und erlebbar zu machen, um ihnen ein zukunftsfähiges Miteinander zu ermöglichen. Das heißt für den KJR aber auch, beispielsweise die FridaysForFuture-Aktivitäten organisatorisch und finanziell zu unterstützen, damit die Forderungen der jungen Generation in der Öffentlichkeit und bei politischen Mandatsträger*innen ankommen. Auf einer Klima-Demo im vergangenen September war ein Junge, der einfach nur einen Zettel hochhielt. Es war eine herausgerissene Seite aus einem Schulheft, auf die er mit Filzstift geschrieben hatte: „Wie viele Freitage noch?“ Wir müssen aufhören, nur an der Oberfläche zu kratzen. Wegschauen verändert die Realität nicht. Wir müssen uns auf den Weg machen zu einem neuen, gerechten „Normal“. J U L I A T RA X E L, Jahrgang 1975 aus München, Studium der Diplom-Biologie und ausgebildete Gärtnerin, Fachstelle Nachhaltigkeit und BNE (Bildung für nachhaltige Entwicklung), KJR ■ Tipp: Klimagerechtigkeit verstehen in 5 Minuten: spannender Kurzfilm „die Rechnung“: www.youtube.com/watch?v=EmirohM3hac (Kurzlink: www.kjr-url.de/e1j ) ■ Wo soll man bloß anfangen? Schon einmal einen CO2-Rechner gemacht, um die eigene Bilanz zu kennen? Das Umweltbundesamt oder der WWF bieten gute Daten: https://uba.co2-rechner.de/de_DE/ oder www.wwf.de/themen-projekte/klima-energie/ wwf-klimarechner ■ Gute Tipps für die Umsetzung findet man im Programm „ein guter Tag hat 100 Punkte“ unter https://eingutertag.org/de/ Jede Firma schreibt es sich auf die Fahne, in jedem Werbespot kommt es vor. Nachhaltig bedeutet: Genug für alle für immer. Genug – also „nur“ genug, kein Überfluss. Für alle – also auch für Menschen mit niedrigem Einkommen und Menschen aus dem globalen Süden. Für immer – also auch für unsere Enkel bzw. die heutigen Kinder und Jugendlichen, die zum Beispiel die Einrichtungen des KJR besuchen. Wenn wir gegenüber zukünftigen Generationen gerecht sein wollen, müssen wir klimagerecht leben. Wie kann das im Alltag aussehen? Radfahren statt Autofahren, weniger Klamotten kaufen, Mehrweg statt Einweg, Schnäppchenjagd kritisch sehen, endlich den Stromanbieter wechseln … Das wissen wir alle, aber es hört sich so mühsam an und kostet teilweise auch mehr Geld. Wenn wir aber ein T-Shirt für 4,99 Euro kaufen, sind darin die realen Kosten, z.B. für die Behebung von Umweltschäden oder soziale Folgekosten von ausbeuterischen Arbeitsbedingungen nicht enthalten. Das T-Shirt müsste deutlich teurer sein. Aber wir wollen nicht mehr bezahlen. Wir erwarten, dass andere für die Kosten aufkommen, ungefragt und ohne dass sie etwas von unserem T-Shirt haben. Geiz ist nicht geil, sondern unfair und kurzsichtig. Nachhaltig leben bedeutet auch, sozial gerechter zu leben. Es gibt jedoch auch Menschen, die sich aufgrund ihrer finanziellen Ressourcen vielleicht keine Fair-Trade-Kleidung aus Biobaumwolle leisten können. Daher braucht es auch Gesetze, die verbieten, dass unter menschenunwürdigen Bedingungen und zu Lasten von Mensch und Natur Billigkleidung produziert wird. Ungerechtigkeit zwischen den Generationen ist in unserer Gesellschaft alltäglich und selbstverständlich. Wie könnte es sonst sein, Karikatur: Freimut Woessner

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