K3 No. 1 - Februar 2022

Dachzeile 16 das kommt | 01 | 2022 Resilienz und psychische Gesundheit Schwerpunk Sprechen die Betroffenen selbst über ihre Krankheit? Ja, vor allem die Eltern haben einen enormen Redebedarf. Sie wollen zwar anonym bleiben, um ihre Kinder zu schützen, möchten aber unbedingt ihre Geschichte erzählen. Sie regen sich verständlicherweise über die Zustände auf, sind wütend und besorgt und verstehen die Welt nicht, dass es keinen Platz geben soll. Auch die Ärztinnen* und Ärzte* tun alles, um zu helfen, stoßen aber immer wieder an strukturelle Grenzen des Systems. Am Ende ist das Mädchen, von dem ich gehört hatte, in der Heckscher-Klinik gelandet. Eigentlich nicht der richtige Ort für MagersüchDramatische Versorgungslücken für Heranwachsende Wenn Geld kein Allheilmittel ist Die Journalistin Katrin Bohlmann hat für den Bayerischen Rundfunk zur Situation der Kinder- und Jugendpsychiatrien im Freistaat recherchiert und festgestellt, dass die dramatische Lage hausgemacht ist. Geld ist dabei nicht das eigentliche Problem – das Thema ist viel komplexer. Was war Auslöser ihrer Recherche? Katrin Bohlmann: Ich kenne viele Familien mit Kindern und hatte in meinem Umfeld einige Geschichten zu diesem Thema gehört. Eine Bekannte erzählte von einem Kind, das seit fast eineinhalb Jahren an Magersucht leidet und deutschlandweit keinen Therapieplatz bekommen hat. Die Eltern des Mädchens waren gezwungen, tatenlos zuzusehen, wie ihre Tochter immer mehr abmagerte und zu verhungern drohte. Das hat mich berührt und aufgebracht und wurde zum Ausgangspunkt meiner Recherchen. Ich hatte bereits im Mai 2021 verschiedene Kliniken kontaktiert, die mir alle bestätigten, dass sich die Lage in den Kinder- und Jugendpsychiatrien dramatisch verschärft. Eine Folge von Corona? Die Ärztinnen* und Ärzte* sagen immer wieder, dass Corona nur eine Ursache ist. Die Pandemie hat die Lage der erkrankten Kinder und Jugendlichen aber nochmals verschärft. Auch die Symptome werden krasser. Allerdings stimmt auch, dass nicht jedes Kind, das unter Corona leidet, sofort depressiv wird oder suizidgefährdet ist. Corona ist der Tropfen, der das Fass oft zum Überlaufen bringt. Welche Bilder sind in dieser Zeit in ihrem Kopf entstanden? Ich bin selbst Mutter von drei Kindern und kann nur zu gut nachempfinden, wie sich die Betroffenen fühlen. Es ist unglaublich, dass diesen Eltern nicht geholfen werden kann. Wir leben in einem so reichen Land, in dem es nicht möglich sein soll, diesen Kindern zu helfen!? Coronabedingt durfte ich nicht auf die Stationen, um direkt mit den Betroffenen zu sprechen. Die Klinikleitungen haben mir aber sehr freimütig die Zustände geschildert: Kinder liegen beispielsweise auf Matratzen auf dem Boden, weil es zu wenig Betten gibt. So sind sie aber wenigstens unter ärztlicher Aufsicht und versorgt. Wie verzweifelt müssen diese Kinder und Jugendlichen durch die vielen Einschränkungen der Pandemie sein, dass sie offenbar jeden Lebensmut verloren haben ...? Professionelle Hilfe bevor es zu spät ist – in Bayern fehlen Behandlungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendlichen in psychischen Krisensituationen. Was tun!? Hilfen und Angebote bei psychosozialen Auffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen ■ Infoportal: Depression und psychische Gesundheit im Kindes- und Jugendalter. Das Infoportal „ich bin alles“ bietet Erklärvideos, Podcasts, jugendliche Bildwelten und eine zielgruppengerechte Sprache. Die Kinder- und Jugendpsychiatrie des LMU Klinikums München hat das multimediale Angebot in Partnerschaft mit der Beisheim Stiftung entwickelt. Dabei wurden auch Kinder und Jugendliche eingebunden: ich-bin-alles.de ■ Jugendhilfeportal mit verschiedenen Artikeln zu aktuellen Gesundheitsthemen: https://bit.ly/3g2pdY5 ■ kindergesundheit-info.de das Portal der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung informiert auch über die psychosoziale Gesundheit: https://bit.ly/3o3fCVe ■ Bundesministerium für Gesundheit, z.B. „Psychisch fit in der Grundschule: https://www.irrsinnig-menschlich.de/ Auswirkungen auf Bildungserfolg und Psyche der Kinder hatte. Diese Phase hat die Bewältigung der biografischen Übergänge bei Kindern und Jugendlichen abermals massiv erschwert und eine Vielzahl von Erlebnissen, die nicht nachgeholt werden können, förmlich für alle Zeit „geschluckt“. Kinder und deren Bedürfnisse waren und sind bis heute zu wenig im Blick der Politik. Wir wünschen uns deshalb mehr Sensibilität der Politiker*innen, um mit den Folgen der Pandemie für Heranwachsende gut umgehen zu können. P E T RA KU T Z N E R, Jahrgang 1965 aus Magdeburg, Studium Grundschullehramt, Fachwirtin für den Bereich Kindergarten und den sozialpädagogischen Bereich, Abteilungsleitung Kindertageseinrichtungen, KJR Bild: Christian Lue auf unsplash.com

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjk2NDUy