K3 No. 1 - Februar 2022

Dachzeile 12 das kommt | 01 | 2022 Resilienz und psychische Gesundheit Schwerpunk Teilhabe am gesellschaftlichen Lebensprozess in Form von sinnvoller Tätigkeit und angemessener Bezahlung wird Identitätsbildung zu einem zynischen Schwebezustand. Die intensive Suche nach zukunftsfähigen Modellen materieller Grundsicherung ist von höchster Bedeutung. Das Konzept der Kindergrundsicherung, das die Ampelkoalition realisieren möchte, ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. 6) Nicht mehr die Bereitschaft zur Übernahme von fertigen Paketen des „richtigen Lebens“, sondern die Fähigkeit zum Aushandeln ist notwendig: Wenn es in unserer Alltagswelt keine unverrückbaren allgemein akzeptierten Normen mehr gibt, außer einigen Grundwerten, wenn wir keinen Knigge mehr haben, der uns für alle wichtigen Lebenslagen das angemessene Verhalten vorgeben kann, dann müssen wir die Regeln, Normen, Ziele und Wege beständig neu aushandeln. Das kann nicht in Gestalt von Kommandosystemen erfolgen, sondern erfordert demokratische Willensbildung, verbindliche Teilhabechancen im Alltag, in den Familien, in der Schule, Universität, in der Arbeitswelt und in Initiativ- und Selbsthilfegruppen. Dazu gehört natürlich auch eine gehörige Portion von Konfliktfähigkeit. 7) Demokratie lebt von der Möglichkeit, dass Menschen Selbstwirksamkeitserfahrungen durch ihr eigenes Engagement machen können. Hier hängen Verwirklichungschancen eng mit der Idee der Zivilgesellschaft zusammen. Diese lebt von dem Vertrauen der Menschen in ihre Fähigkeiten, im wohlverstandenen Eigeninteresse gemeinsam mit anderen die Lebensbedingungen für alle zu verbessern. P RO F. DR . HE I N E R K EUP P, Jahrgang 1943, 40 Jahre Hochschullehrer für Sozialpsychologie an der LMU München, Vorsitzender der Kommission für den 13. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung zum Thema Gesundheit psychischen Erkrankungen. Im pädagogischen Kontext kann nicht immer sicher bewertet werden, ob es sich um entwicklungstypische Verhaltensweisen oder Erkrankungen handelt, die einer Behandlung bzw. Therapie bedürfen. Pädagoginnen* und Pädagogen* verfügen jedoch meist über langjährige Erfahrungen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen und können aus ihrer Beobachtung heraus beurteilen, ob sich ein junger Mensch nachhaltig verändert. Welche Befunde hinsichtlich psychischer Erkrankungen gibt es in der Folge der Pandemie bei Kindern und Jugendlichen? Hier erleben wir vor allem Suchterkrankungen – von stofflichen Süchten bis zu exzessivem Medienkonsum. Hinzu kommen Depressionen oder Verstimmungen. Einher geht das oft mit Essstörungen und Bewegungsmangel. Auch allgemeine Zukunftsängste werden oft beschrieben. Finden Kinder und Jugendliche dann ausreichend Schutz in der Familie? Wenn es vor Corona ein intaktes Familiensystem gab, kann das zutreffen. Interessant ist in dem Zusammenhang, dass Fachleute davon sprechen, dass die Zahl der pathologisch psychologischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen während der Pandemie gar nicht signifikant angestiegen sei. Das heißt auch, dass die größte Belastung die Schule bleibt, mit der die jungen Menschen ja lange nicht direkt konfrontiert waren. Einige Kinder sind sogar regelrecht aufgeblüht, weil sie in der Schule nicht mehr gemobbt wurden. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Pubertierende befinden sich im Ablöseprozess von ihrer Familie. Es ist also völlig unnormal, wenn sie jetzt fast rund um die Uhr mit den Eltern und Geschwistern zusammen sein müssen. Prekäre Familienverhältnisse, beengte Räumlichkeiten und die Anspannung im Home Office der Eltern verschärfen die Gefährdung für Heranwachsende. Das Thema psychische Gesundheit ist übrigens nicht erst seit Corona ein Thema für den BJR – wir haben schon 2016 auf den Handlungsbedarf hingewiesen. Jugendarbeit stärkt psychische Gesundheit Wir müssen reden (und handeln)! Die Angebote der offenen und verbandlichen Jugendarbeit können psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen nicht heilen. Sie tragen jedoch maßgeblich dazu bei, Heranwachsende mental stark und widerstandsfähig zu machen. Ilona Schuhmacher beschäftigt das Thema seit vielen Jahren. Woran bemisst sich die psychische Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen? Gibt es einen Unterschied zu Erwachsenen? Als Vizepräsidentin des Bayerischen Jugendrings (BJR) befasse ich mich mit dem Thema vor allem auf einer politischen Ebene. Inhaltlich gab es für mich beim zweiten Fachtag des BJR zu diesem Thema, der Ende Oktober 2021 stattfand, erneut wertvolle Impulse. Sabine Finster, stellvertretende Geschäftsführerin der Aktion Jugendschutz, hatte dabei u.a. den Bewertungskatalog ICD-10 für psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter vorgestellt, der das Krankheitsbild genauer beschreibt. Hier wurde sehr deutlich, dass die Bewertung psychischer Auffälligkeiten nicht ganz trennscharf ist: Was ist beispielsweise der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben geschuldet – Stichwort Pubertät, was ist pathologisch? Klassischerweise findet man bei Kindern und Jugendlichen Depressionen, Essstörungen und Süchte als die drei großen Gruppen von Beziehungsarbeit ist der Schlüssel zur körperlichen und psychischen Gesundheit – bei allen Jugendlichen. Bild: Nathan Mc Dine auf unsplash.com » Angst vor Ansteckung. Schlechtes Gewissen, wenn man was mit Freunden macht und danach die Familie besucht.

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