K3 No. 6 - Dezember 2021

| 06 | 2021 29 Wahrheit & Wissen Schwerpunkt Prävention braucht Aufarbeitung Vom Umgang mit einer schwierigen Wahrheit In den letzten Jahren wurde öffentlich, dass in verschiedenen In- stitutionen und in vermeintlich geschützten Räumen sexualisierte Gewalt ausgeübt wurde … Sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen ist ein unter- schätztes gesellschaftliches Problem. Laut polizeilicher Kriminalsta- tistik aus dem Jahr 2019 sowie nach Befunden diverser Dunkelfeld- studien ist jedes siebte Kind von sexualisierter Gewalt betroffen. Die Täter*innen finden sich häufig im familiären Umfeld, nutzen aber auch Strukturen von Vereinen und Verbänden. Der Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder (BdP) lässt seinen Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Vergangenheit durch ein ex- ternes wissenschaftliches Institut aufarbeiten. Diese Aufarbeitung hat im September 2021 mit einer Pressekonferenz und einem öffentlichen Aufruf an Betroffene begonnen. Wie kam es dazu? Den Anstoß zu diesem Prozess lieferte ein Generationswechsel im Bundesvorstand. Im Rahmen dieser personellen Veränderungen wurden Informationen zu einem Fall sexualisierter Gewalt bekannt. Dabei wurde der Täter nicht aus dem Umfeld des Verbands entfernt. Informell wurde in der Folge von weiteren Taten berichtet – jeweils mit der Warnung verbunden, das Thema nicht weiter zu verfolgen, um Schaden vom Bund abzuwenden und ein negatives Presseecho zu vermeiden. Immerhin gibt es bereits seit 2002 im BdP eine aktive Präventionsarbeit, ein Netzwerk mit Vertrauensleuten und entsprechende Informationen und Kontaktmöglichkeiten für Mitglieder und mögliche Betroffene. Wie aber soll glaubhaft gemacht werden, dass dem Verband Prä- vention und der Schutz von Kindern bzw. Jugendlichen ein wichtiges Anliegen ist, wenn mit Betroffenen so geringschätzend umgegangen wird und beispielsweise geständige Täter*innen im Umfeld des Bundes belassen werden? Dem BdP wurde klar, dass es nicht möglich sein würde, hier keine eindeutige Position zu beziehen. Indem wir Taten nicht verurteilen, sondern aus Angst vor Rufschädigung schweigen, positionieren wir uns – allerdings auf der Seite der Täter*innen. In den Diskussionen stand vor allem die Frage im Fokus, wie es Betroffenen geht, die Täter*innen beispielsweise bei einem Zeltlager wiedertreffen, weil diese sich noch im Umfeld des Bundes aufhalten. Die Pfadfinderei ist für diese Opfer kein Schutzraum, weil der Verband zu lange weggeschaut und geschwiegen, das Leid der Betroffenen nicht oder nicht angemessen anerkannt und diesen Betroffenen nicht geglaubt hat 1 . Unrecht zu benennen, Leid anzuerkennen und aus der Geschichte für die Zukunft zu lernen, wurden daraufhin von den Bundes- und Landesgremien als Ziele angenommen und unterstützt. Es sollen Mechanismen erkannt und benannt werden, die dazu geführt haben, dass diese Taten begangen werden konnten und Betroffene in unseren Reihen nicht ausreichend Hilfe und Schutz fanden. Es geht letztlich um die Frage, „… wie man das jetzt eigentlich genau angehen soll?“. Die Antwort darauf war und ist nicht einfach. Während der Bundesversammlung 2016 wurde ein Antrag formuliert, der den Bundesvorstand beauftragte „…mögliche Wege einer kritischen Auseinandersetzung im Umgang mit sexuellem Missbrauch seit der Grün- dung des BdP aufzuzeigen und der Bundesversammlung innerhalb eines 1 Hier ist wichtig zu wissen, dass viele Fälle nie juristisch aufgearbeitet wurden und werden konnten und daher keine valide Basis des Darüber-Sprechens und Benennens der Taten besteht: „Die Handlungen, die als sexuelle Gewalt oder Miss- brauch bezeichnet werden, weisen eine große Bandbreite auf. Nicht jede sexuelle Gewalt ist strafbar, aber jede sexuelle Gewalt verletzt Mädchen und Jungen.“ (https://beauftragter-missbrauch.de/praevention) Selbst angezeigte Fälle (er- wachsene Betroffene) führen in nur ca. 7 Prozent zur Verurteilung der Täter*innen und enden oft mit Freispruch oder der Einstellung des Verfahrens. (www.tages- schau.de/investigativ/report-muenchen/verurteilungen-vergewaltigung-101.html) Das Leid der Opfer anerkennen – das ist ein wesentlicher Teil der Aufarbeitung im Verband Symbolbild: Ulrike Mai auf Pixabay

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