K3 No. 4 - September 2021
Dachzeile 28 das kommt | 04 | 2021 Arbeit und Beruf(sorientierung) Schwerpunk Fachkräftemangel wirksam bekämpfen Die Pandemie als Chance 465.700 … so viele Ausbildungsverträge wurden in Deutschland 2020 neu abgeschlossen – fast zehn Prozent weniger als noch ein Jahr zuvor. Der niedrigste Stand in den 40 Jahren, seit diese Statistik schon geführt wird. Berufliche und persönliche Perspektiven garantiert – mit einer Berufsausbildung Warum machen immer weniger junge Menschen eine Ausbildung? Ein entscheidender Faktor ist natürlich die Corona-Krise: Gerade in Bereichen wie der Gastronomie und im Hotelgewerbe, aber auch in der Tourismusbranche ist die Zahl der Ausbildungsverträge massiv zurück- gegangen. Klar, dort ist teilweise auch gar keine Ausbildung möglich, die Betriebe sind geschlossen oder es gibt keine Gäste. Doch auch für Betriebe, die trotz Corona ausbilden wollen, ist es schwer. Durch Schulschließungen entfielen etwa die Schulpraktika, über die besonders das Handwerk künftige Azubis an die Ausbildung heranführen kann. Während große Einzelhandelsketten alle Azubis in einen „Lehrbetrieb“ zusammenführen konnten, hatten kleine Unter- nehmen diese Möglichkeit nicht. Die DGB-Jugend fordert daher mehrere Maßnahmen, um eine Ausbil- dung während der Corona-Krise und darüber hinaus wieder attraktiv zu machen. Einerseits fordert sie die Kammern auf, kleinen Betrieben bei der Ausbildung während der Pandemie zu helfen – etwa durch zentral in den Bildungszentren gelehrte Ausbildungsinhalte. Andererseits muss Politik handeln: Wir brauchen eine Ausbil- dungsgarantie, wie es sie etwa in Österreich bereits gibt. Dort werden Ausbildungen überbetrieblich begonnen und, wenn kein Ausbildungsbetrieb gefunden wird, auch überbetrieblich beendet. Jeder Mensch unter 25 Jahren hat so die Garantie, dass er eine Ausbildung beenden kann. Auch ohne Corona befanden sich in Deutschland schon fast 200.000 Menschen auf der Suche nach Ausbildungen oder steckten in Berufs- vorbereitungsmaßnahmen. Gleichzeitig wird der Fachkräftemangel immer größer. Wegen Corona nun wieder nicht zu handeln, wird es noch schlimmer machen. Nutzen wir stattdessen die Chance, um langfristige Verbesserungen einzuführen, zum Beispiel mit einer staatlichen Aus- bildungsplatzgarantie. Kristofer Herbers, DGB-Jugend München Mangelverwaltung bei der Personalausstattung Kommen sie oder kommen sie nicht? Kleine und große Träger, konfessionell gebundene, städtische oder Einrichtungen in freier Trägerschaft – alle suchen fieberhaft Erzieher*innen. Petra Kutzner und Christian Müller suchen beim Kreisjugendring bzw. beim Caritasverband nach Lösungen. In München sind etwa 11 Prozent der Einsatzstellen für Erzie- her*innen nicht besetzt. Wie ist die Situation bei euren Trägern? Christian: Beim Caritasverband trifft das leider durchaus zu – wir liegen insgesamt ziemlich genau bei diesem Wert. Petra: Manche unserer Einrichtungen sind personell gut ausgestattet, in anderen fehlen Kolleginnen* und Kollegen* bis hin zur Leitung. Das hat natürlich Auswirkungen auf den pädagogischen Alltag. Wir schreiben Stellen immer wieder aus, bekommen aber meist nur wenige Bewerbungen, oder es melden sich Bewerber*innen, deren Schul- bzw. Berufsabschlüsse unzureichend bzw. in Deutschland (eventuell auch in Bayern) nicht oder nur teilweise anerkannt sind. Uns fehlen Erzieher*innen in allen Bereichen – in der Krippe, im Kindergarten und im Hort. Christian: Für den Hort und die Ganztagsbetreuung ist es etwas ein- facher, Kolleginnen* und Kollegen* zu finden als für Krippe und Kita. Ein Grund könnte sein, dass sich häufiger Männer für den Hort bewerben. Ist die Lage „nur“ schwierig oder schon dramatisch? Petra: In einer Kita hatten wir unlängst den Fall, das vier Kolleginnen fast gleichzeitig schwanger wurden und zwei aus gesundheitlichen Gründen aufhören mussten. Solche Lücken lassen sich nicht einfach schließen. Hier müssen wir dann leider zum Äußersten greifen und zunächst die Öffnungszeiten verkürzen, in der zweiten Stufe Gruppen schließen und am Ende muss eine Einrichtung schlimmstenfalls voll- ständig den Betrieb einstellen. Letzteres ist bis jetzt zum Glück noch nicht eingetreten. Christian: Einige unserer Einrichtungen sind immer gut besetzt – an- dere suchen ständig nach Personal. Auch wir können mitunter einzelne Gruppen nicht eröffnen – gerade bei neuen Einrichtungen. Die Situation ist aber wirklich sehr unterschiedlich – im Landkreis München haben wir sogar eine Einrichtung mit Personal, aber zu wenig Kindern. Welche Gründe gibt es für den Erzieher*innen-Mangel? Petra: Ich glaube, dass das auch politische Gründe hat. Die Politik hat einen gesetzlichen Anspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab 3 Jahren beschlossen, aber nicht rechtzeitig und im erforderlichen Umfang Fachkräfte ausgebildet. Dann kam auch noch der Rechtsan- spruch auf einen Krippenplatz hinzu. Christian: Die Statistiken sagen, dass sich das Problem eher noch verschärfen wird. Die starken Berufsjahrgänge gehen in Rente. Die Mit- arbeiter*innen in der Kindertagesbetreuung arbeiten im Durchschnitt nicht besonders lange im Erzieher*innen-Beruf. Das hat vielleicht auch mit dem schlechten Ruf des Erzieher*innen-Be- rufs zu tun; das Vorurteil hält sich hartnäckig, dass das sehr schlecht bezahlte Tätigkeiten sind. Das stimmt so nicht, denn die Erzieher*innen liegen am oberen Ende der mittleren Einkommensgruppe – mit durch- schnittlich über 3.500 Euro brutto; Einrichtungsleitungen liegen deutlich darüber. Gleichzeitig gibt es im Bereich der Erzieher*innen ein klares Anforde- rungsprofil, beispielsweise ein B2-Sprachzertifikat. Das stellt für viele Bewerber*innen aus dem Ausland durchaus eine Hürde dar. Foto: DGB-Jugend Bayern
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