K3 No. 2 - April 2021
| 02 | 2021 25 Rassismus und Diskriminierung Schwerpunkt Standpunkt Rassismus ohne Rassen Zwei mediale Fundstücke zeigen das Dilemma: Der Jurist Uwe Kischel schrieb dieser Tage in einem Gastbeitrag für die F.A.Z.: „Das darin [im Grundgesetz, Anm.d.Red.] enthaltene Verbot der Diskriminierung aufgrund der Rasse ist ein lauter Schrei des ‚nie wieder‘. Dieser Schrei, der gerade an den Begriff der ‚Rasse‘ anknüpft, würde jetzt verstummen.“ Felix Hütten kommentiert zum gleichen Thema in der Süddeutschen Zeitung: „Das Konzept der ‚Rasse‘ ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Vo- raussetzung.“ Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, die Initiatorin des Vorhabens, den Begriff „Rasse“ aus Artikel 3 des Grundgesetzes durch eine andere Formulierung zu ersetzen, Felix Hütten und mit ihnen viele andere Autorinnen* und Autoren* befinden, dass es höchste Zeit sei, dieses Vorhaben umzusetzen und dem Wort „Rasse“ den Garaus zu machen – zunächst im Grund- gesetz. Der Bundestag übt sich derweil in ungewohnter Einigkeit und unterstützt Lambrechts Vorgehen. Die Debatten werden aber nicht leiser – Stichwort Identitätspolitik. Gleichzeitig stellt sich eine weitere Frage, die der SZ-Redakteur indirekt tangiert: Wenn der Begriff „Rasse“ getilgt werden soll, weil historisch vorbelastet – müsste dann nicht konsequenterweise und aus Gründen der Sprach-Hygiene nicht auch das semantische Derivat „Rassismus“ durch einen anderen Begriff ersetzt werden? Es bestünde dabei jedoch die Gefahr, dass damit unzulässige Ver- kürzungen der Wortbedeutung einhergehen – ähnlich, wie es sich im Ringen um Formulierungsalternativen für das Grundgesetz zeigt. Die Auflösung des Konflikts liegt nahe, auch wenn kürzlich die Erfolgsautorin Mithu Sanyal selbst an diesem simplen Begriff Bedenkliches findet: gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Zugegeben – eher ein Wortungetüm, das Unbedarften schwer über die Lippen kommt. Doch darin steckt im Prinzip die gan- ze Wahrheit von Rassismus in unserem heutigen Verständnis. Gleichzeitig entledigt sich die Wortverbindung der verräterischen Verwandtschaft zu „Rasse“. Zur Klarstellung: Es geht darum, Din- ge als das zu benennen, was sie sind. In dem Fall bedeutet das, dass Rassismus eine Legitimation braucht. Er sucht sich deshalb Erklärungen und besonders gern biologische Ableitungen, weil sie naturgegeben erscheinen. Nicht mehr und nicht weniger umfasst eben gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit – ganz gleich, ob es um Aussehen, Geschlecht, Mindset oder welche konstruierten Merkmale auch sonst geht. Übrigens scheint es weit hergeholt, in der grundgesetzlichen Formulierung „Rasse“ einen mahnenden Appell im Sinne eines „nie wieder“ lesen zu wollen. Ein biologisch wie entwicklungsge- schichtlich falscher und politisch bis an die Grenzen des Fassbaren missbrauchter Begriff kann keine fundierte aufklärerische Bildung stützen. Er reproduziert nur Stigmata und damit Ungerechtigkeit und Herabsetzung. MAR KO JUNGHÄNE L , Jahrgang 1968, Kommunikations wissenschaftler und Politologe, Aufgaben im KJR: seit 2010 als freier Mitarbeiter Mitglied der K3-Redaktion *aus der Präambel des Vereins BEFORE e.V. Es liegt in der Verantwortung unserer Stadtgesellschaft, Betrof- fenen nicht nur Beratung und Hilfe anzubieten, sondern sich auch mit Nachdruck für ein Klima und für Verhältnisse einzusetzen, „… in denen jeder Mensch, gleich welchen nationalen, ethnischen, religiösen, sexuell-orientierten oder weltanschaulichen Hintergrunds, frei und ohne Angst sich bewegen und gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann …“* Dies waren maßgebliche Gründe, weshalb im Juni 2015 der Münchner Stadtrat beschloss, den Verein BEFORE e.V. mit der Einrichtung einer Beratungsstelle zu beauftragen. Damit setzte München ein wichtiges gesellschaftspolitisches Zeichen für die Achtung der Menschenrechte und die Demokratisierung unserer Gesellschaft. Die Opfer im Blick BEFORE ist grundsätzlich parteilich: Die Einrichtung wendet sich in ihrem Beratungsangebot sowohl an Betroffene selbst als auch an Ange- hörige, Zeuginnen* und Zeugen* von Vorfällen oder Freundinnen* und Freunde* der Betroffenen. Dabei steht im Vordergrund, wie Betroffene persönlich den Vorfall wahrgenommen haben. Auch versuchte Angriffe, unvollendete Taten, Drohungen oder gezielte Sachbeschädigungen sind gewaltsame Übergriffe. Einschätzungen Dritter, z.B. der Polizei, sind untergeordnet. Die Beratung ist freiwillig und kostenlos. Bei Sprachschwierigkeiten werden Dolmetscher*nnen hinzugezogen. Im geschützten Rahmen erhalten die Betroffenen ihrer persönlichen Situation und ihren Anliegen entsprechend professionellen psycho-sozialen Rat, Begleitung bei weiteren Schritten, wie z.B. Gerichtsverfahren, Beratung hinsichtlich finanzieller Unterstützung oder im Umgang mit Medien. Ebenso gehört die anonymisierte Dokumentation und spätere Veröffentlichung von Vorfällen und Übergriffen zu den Aufgaben von BEFORE. Seit die Beratungsstelle ihre Arbeit aufgenommen hat, steigt die Zahl der Ratsuchenden stetig. Das zeigt einerseits, wie unverzichtbar diese Anlaufstelle ist. Andererseits belegt es das erschreckende Ausmaß rechter Gewalt und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft; die Dunkelziffer noch gar nicht einbezogen. Einen Überblick über das Angebot von BEFORE, weiterführende Ma- terialien und die „München-Chronik“ mit Fallzahlen und Fakten bietet die Website www.before-muenchen.de SY LV I A HO LHU T , Jahrgang 1960, Diplom-Pädagogin, Aufgaben im KJR: 1992 bis 2003 Team Jugendverbandsarbeit; 2003 bis 2006 Aufbau Fachstelle ebs/Inklusion, seit 2006 Aufbau/Leitung Fach- stelle Demokratische Jugendbildung
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