K3 No. 2 - April 2021
Dachzeile 22 das kommt | 02 | 2021 Rassismus und Diskriminierung Schwerpunk Diskriminierung im Alltag Das geht uns alle an! Die Frage, ob alle Menschen gleichberechtigt und gleichwertig sein sollen, würden die meisten mit einem klaren „Ja“ beantworten. Warum auch nicht? nicht das Müsli gemeint ist, das es am liebsten mag. Es sind diese Verhaltensmuster, die konstant ein Verständnis von einem „Wir“ und den „Anderen“ reproduzieren; es gibt die, die zwar hier sind, aber irgendwie doch nicht richtig dazugehören. Diskriminierung: Glauben vor Wissen Für eine Diskriminierung ist dabei nicht von Bedeutung, ob eine Per- son tatsächlich einer bestimmten Gruppe angehört, sondern lediglich, dass sie einer solchen aufgrund bestimmter Merkmale zugeordnet wird. Um beispielsweise von antimuslimischem Rassismus betroffen zu sein, muss man nicht zwingend muslimischen Glaubens sein. Es genügt, wenn das Gegenüber das vermutet. Diese wiederholten Zuschreibungen bleiben nicht folgenlos. Breit und Scherr führen hier drei Aspekte auf, wie Diskriminierung auf Be- troffene wirkt (Scherr/Breit 2020: 30f.). Der erste ist die objektive Benachteiligung, die sich u.a. darin äußert, dass man schwerer eine Ausbildungsstelle oder Wohnung findet. Für solche Fälle gibt es ge- setzliche Regelungen wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Zweitens beschädigt Diskriminierung das Selbstwertgefühl der Betroffenen. Die wiederholte Zuschreibung negativer Eigenschaften kann starke Zweifel an den eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten verursachen und dazu führen, sich als Mitglied einer „minderwertigen Gruppe“ zu sehen. Der dritte Aspekt ist eine veränderte Wahrnehmung der eigenen Persönlichkeit. Die ständige Konfrontation mit Fremdzuschreibungen kann bewirken, dass man eine Identität übergestülpt bekommt und so von sich selbst entfremdet wird. Handlungen werden repräsentativ für die Gruppe gesehen, die man angeblich vertritt, und dabei stets kritisch bewertet. Die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit wird untergraben und eine Individualität aberkannt. Diskriminierung beginnt also bereits viel früher als mit Beleidi- gungen, Anfeindungen und Herabwürdigungen. Sie beginnt mit Zu- ordnungen, die man selbst nicht wählen kann – damit, dass man nicht selbst bestimmen kann, wie und als was man wahrgenommen wird. Daher reicht es nicht aus, sich öffentlich gegen Rassismus zu äußern, während man ein „Refugees Welcome“-T-Shirt trägt. Das sind Symbole, die zwar wichtig sein können, aber den Großteil der tatsächlichen Diskriminierungen nicht tangieren. Vielmehr geht es darum, Menschen als gleichwertig wahrzunehmen, sie in ihrer Individualität zu sehen und zu respektieren. Es geht darum, dass Menschen diejenigen sein können, die sie sein wollen. Diskriminierung ist ein komplexes Thema, das alle betrifft. Die Aus- einandersetzung damit geht mit Betroffenheit, Widerständen, Schuld- gefühlen und Verunsicherungen einher. Oft hört man die Frage „Was darf ich denn eigentlich noch sagen?“. Statt sich von diesen Gefühlen leiten zu lassen, sollte die Frage lauten: „Was will ich eigentlich sagen?“ Die Auseinandersetzung mit dem Thema Diskriminierung ist ein lebenslanger, persönlicher Prozess und genau deswegen müssen wir hier und jetzt aktiv werden und damit beginnen. S E V E R I N S CHWAR ZHUB E R , Jahrgang 1989, Sozialarbeiter B.A., Aufgaben im KJR: LOK Arrival (2015-2017), seit 2020 Fachstelle Jugendarbeit in der Migrationsgesellschaft mit dem Schwerpunkt Junge Geflüchtete Quellen: ■ IDA e.V. Glossar: https://www.idaev.de/recherchetools/glossar (Abfrage: 23.03.2021) ■ Scherr, Albert; Breit, Helen (2020): Diskriminierung, Anerkennung und der Sinn für die eigene soziale Position. Wie Diskriminierungs- erfahrungen Bildungsprozesse und Lebenschancen beeinflussen. Weinheim: Beltz Juventa Aus Benachteiligung wird Hass – aus Hass entspringt Gewalt. Die Idee der Gleichberechtigung ist einer der Eckpfeiler der deut- schen Gesellschaft – etwas, auf dem ihre Werte, die Demokratie, die Vorstellung von einem guten Leben fußen. Alle sollen die gleichen Chancen haben, alle sollen ihre Persönlichkeit frei entfalten können, so steht es bereits im Grundgesetz. Diese Haltung, die Wertigkeit dieses Ideals schreibt man sich oft genug auf die Fahnen, propagiert sie in der Welt, blickt mitleidig oder argwöhnisch auf andere Länder, in denen Gleichberechtigung vermeintlich nicht so hochgehalten oder gar untergraben wird. Und dennoch: So fortschrittlich unsere Gesell- schaft sich präsentieren mag, Diskriminierung ist auch hier präsent und ein Teil von ihr. Was ist Diskriminierung eigentlich? Das Informations- und Doku- mentationszentrum für Antirassismusarbeit (IDA e.V.) definiert sie als die „… ungleiche, benachteiligende und ausgrenzende Behandlung von konstruierten Gruppen und diesen zugeordneten Individuen ohne sachlich gerechtfertigten Grund.“ Diskriminierung resultiert daraus, dass Menschen eingeteilt werden in „normale, vollwertige und gleich- berechtigte Individuen“ (Scherr/Breit 2020: 29), z.B. Angehörige der Mehrheitsgesellschaft, und „die Anderen“, denen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden, die Ungleichbehandlung als gerechtfertigt erscheinen lassen. Wer diskriminiert wen in Deutschland? Schnell fällt der Blick bei- spielsweise auf Rechte und Neonazis, deren Frauenbild seit dem 17. Jahrhundert offenbar kein Update mehr bekommen hat. Diskriminierung ist darüber hinaus in vielen Bereichen unserer Gesellschaft verankert – dort nahezu unsichtbar. Rassismus ist nicht nur ein Problem des rechten politischen Randes, sondern durchzieht gesellschaftliche Strukturen, prägt uns alle seit Jahrhunderten. Rassistische Bilder finden sich in Kinder- und Schulbüchern, in der Werbung, den Medien. Sie begleiten unseren Alltag und verfestigen sich oft still und leise. Das Resultat ist meist kein ausgeprägter Fremdenhass. Es sind eher Zuschreibungen, die ganz alltäglich gemacht werden und beinahe selbstverständlich erscheinen. Eine Person wird aufgrund äußerer Merkmale als „nicht-deutsch“ erachtet, englisch angesprochen oder gefragt, wo sie denn herkomme – also „ursprünglich“. Schließlich lobt man die Person für das gute Deutsch, obwohl sie hier geboren und aufgewachsen ist. Oder: Ein Kind wird in der Schule gefragt, was es zu Hause typischerweise zum Frühstück gibt – weiß aber, dass damit Foto: Ana Caroli na Mantelli, pixabay.de
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