K3 No. 1 - Februar 2021

| 01 | 2021 17 Freiheits- und Kinderrechte Schwerpunkt Jugendaustausch in Zeiten von Kontaktbeschränkungen Das Virus als Feind der Begegnungskultur Als sich im März die Zahlen überschlugen, Grenzen geschlossen wurden, hat AFS International die schwere Entscheidung getroffen, weltweit alle Austauschprogramme zu beenden. Für manche war das Virus bzw. die Berichterstattung darüber zu diesem Zeitpunkt noch ein Rauschen im Hintergrund: kaum deutlicher zu hören als die Meeresbrandung bei Flut, der kurze Schauer, der im Mansardendach seinen Klangkörper findet, oder das Auto des Gastva- ters, der täglich um 6 Uhr morgens das Haus verließ. Doch als stünde man in eben dieser Meeresbrandung, riss jede neue Nachricht von der weltweiten Ausbreitung des Virus auch jeden Austauschschüler* und jede Austauschschülerin*, die gerade fernab der Heimat waren, von den Füßen. Niemand stand allein in dieser Situation. Die Gasteltern, Geschwis­ ter, Freunde* und Freundinnen* – sie waren da, versuchten zu trösten, Abschied zu ermöglichen, noch ein letztes Mal ... Es war das Auto des Gastvaters, das zehn Tage später zum Flughafen aufbrechen sollte. Als Ehrenamtliche und ehemalige Austauschschüler*innen ist es uns möglich, zu begreifen, was unsere Programmteilnehmenden in diesem Jahr durchmachen mussten, zum Beispiel die Gastschüler*innen, die nach ihrem Heimflug nach Argentinien mit AFS-Betreuerinnen* und -Betreuern* in einem Hostel unter Quarantäne gestellt wurden. Das sind die offensichtlichen Freiheitsrechte, die durch Corona be- schnitten wurden. Doch für eine Organisation, die sich interkulturellen Austausch und Völkerverständigung auf die Fahne geschrieben hat, bedeutet der Abbruch aller Programme wohl per se eine Freiheits- beraubung. Meine Freiheit hört dort auf, wo die eines anderen anfängt. Aber wie frei bin ich wirklich? Was bedeutet Freiheit in anderen Ländern, wie wird sie in anderen Kulturen gelebt? All das erfahren Austauschschülerinnen und -schüler jedes Jahr – 2020/21 sind es pandemiebedingt weniger. Wir haben uns angepasst, digitale Formate gefunden, um „Returnees“ aufzufangen und nach ihrer Heimkehr zu betreuen, Vergangenes zu reflektieren und neue Generationen zu inspirieren. Europäische Pro- gramme wurden forciert. All das wurde durch engagierte Ehrenamtliche, großzügige Spenden und auch durch den KJR möglich, der uns den Rücken stärkt. Vielen Dank dafür! Daniel Kaulhausen, AFS interkulturelle Begegnungen e.V. Recht(e) haben und Recht bekommen sind zweierlei Kinderrechte und die Macht der Großen Gebt den Kindern das Kommando / Sie berechnen nicht / Was sie tun / Die Welt gehört in Kinderhände / Dem Trübsinn ein Ende / Wir werden in Grund und Boden gelacht / Kinder an die Macht. Herbert Grönemeyer Die Rechte und Bedürfnisse von Kindern kommen in der Pandemie oft genug zu kurz. Für Kinder und Jugendliche gelten die gleichen Grundrechte wie für alle Menschen – und für Kinder und Jugendliche müssen besondere Rechte gelten, die von den Erwachsenen anerkannt, akzeptiert und durchgesetzt werden. Kinderrechte sind Menschenrechte. Deshalb gibt es die UN-Kinderrechtskonvention, seit 30 Jahren. Ganz wesentliche Rechte für Kinder und Jugendliche sind darin verankert: Das Recht auf Schutz vor Gewalt, das Recht auf Beteiligung und Teilhabe, das Recht auf Bildung, das Recht auf Gesundheit und vieles mehr; einfacher gesagt – das Recht auf ein gelingendes Leben. Deutschland hat die Konvention ratifiziert. Jetzt sollen Kinderrechte auch im Grundgesetz verankert werden. Man streitet sich, ob Kinderrechte angemessen oder vorrangig zu be- rücksichtigen sind; vorrangig wäre das richtige Statement. Es ist eine Frage der Haltung. Es geht um die Frage von Demokratie und Machtver- teilung. Es geht um die Entscheidung, dass Kinder und Jugendliche als Subjekte in Gesellschaft und Politik wahrgenommen werden und selbst mitgestalten können. Dazu braucht es geeignete Formen, Geld sowie den politischen und gesellschaftlichen Willen der Großen. Ich bin dankbar, dass in vielen Bereichen – auch in der Jugendverbandsarbeit und der Evangelischen Jugend München – Partizipation und Subjektwerdung möglich sind. Die Pandemie zeigt aber deutlich, wer oder was welchen Wert in einer Gesellschaft hat. Corona verlangt viel von uns allen. Menschenleben müssen gerettet werden, das wird als gesellschaftliche Aufgabe von vielen mitgetragen. Existenzen stehen auf dem Spiel und auch Rechte werden bewertet. Ich beobachte, dass die Bedürfnisse und Rechte von Kindern und Jugendlichen weniger Gewicht haben als wirtschaftliche Erwägungen und die Interessen von großen Konzernen. Das Recht auf Teilhabe und Bildung wird gerade massiv beschnitten. Schulische Bildung holpert vor sich hin, außerschulische Bildung ist kaum möglich. Das aber ist der Sektor, in den eine Gesellschaft investieren muss; zum Wohl der Kinder und zum Wohl einer Gesellschaft, die Gegenwart und Zukunft haben will. Deshalb: gebt den Kindern das Kommando, Kinder an die Macht! Michael Stritar, Evangelische Jugend München Foto: Daniel Kirsch, pixabay.de Im Moment bleiben leider nur schöne Erinnerungen an die Jugend- austauschprogramme. Foto: Sabine Krzikalla, pixabay.de

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