K3 No. 6 - November 2020

Dachzeile 20 das kommt | 06 | 2020 Kooperative Ganztagsbildung Schwerpunk KoGa – ein Beitrag zur Hybridisierung der Kinder- und Jugendarbeit? Vielleicht sogar mehr als Kooperation Kooperative Ganztagsbildung für Grundschulkinder – das ist, nimmt man die Formulierung ernst, ein bemerkenswertes Versprechen. In klarer Abhebung von den Koalitionspartnern auf Bundesebene, die für die aktuelle Legislaturperiode die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter verabredet hatten, wird der Bildungsbegriff in den Mittelpunkt gerückt. Und die Bildung der 6- bis 10-Jährigen soll kooperativ von Grundschule und Kinder- und Jugendhilfe ermöglicht werden. Man muss sich nur kurz die mittlerweile rund zwanzigjährigen De- batten in der Kinder- und Jugendhilfe zum Thema „Bildung ist mehr als Schule“, die vielfältigen meist eher ernüchternden Erfahrungen mit der Zusammenarbeit von Schule und Kinder- und Jugendhilfe und dabei vor allem der Kinder- und Jugendarbeit, die immer wieder auftauchenden Ängste, dass die Kinder- und Jugendhilfe ihre Standards aufgeben müsste und für die Zwecke des Unterrichts und des Schulerfolges instrumentalisiert werden könnte, sowie die objektiv bestehenden Systemdifferenzen einerseits und das fehlende professionelle Wissen über die jeweils andere Seite andererseits vor Augen führen, um eine Ahnung für die mit dem Programm „Kooperative Ganztagsschule“ einhergehenden Ansprüche zu bekommen. Und so war es auch nicht wirklich überraschend, dass der Start der Kooperativen Ganztagsbildung in München 2018 zunächst etwas rumpelig vonstattenging. Zu weiten Teilen schienen die in der Sache mitunter durchaus nachvollziehbaren Irritationen weitere Belege dafür zu liefern, dass es sich bei Schule und Kinder- und Jugendhilfe um zwei verschiedene Systeme mit jeweils eigenen institutionellen Rahmenbe- dingungen, Standards und Handlungslogiken handelte – und zwar nicht nur auf der Ebene der Praxis, also z. B. einer konkreten Grundschule und den lokalen Angeboten der Kinder- und Jugendarbeit, sondern ebenso auf der Ebene der zuständigen Verwaltung, den Finanzierungsbedin- gungen und den Verordnungen bzw. gesetzlichen Vorgaben. Zwei Systeme – ein Ziel Zugleich jedoch – und das scheint der große Gewinn der letzten zwei Jahre zu sein – dämmerte den meisten Beteiligten, dass man mit dieser Zwei-System-Theorie allein nicht weiterkommt. Zwar werden Schule und Kinder- und Jugendhilfe auf absehbare Zeit unterschiedlichen Logiken folgen; doch wuchs die Einsicht, dass das Beharren auf den jeweiligen eigenen Spezifika schnell an Grenzen führt. In München waren spürbare diskursive Verlagerungen in Richtung gemeinsame Verantwortung, das Bemühen um mehr Dialog und Kooperation sowie eine ordentliche Portion Pragmatismus die Folge. Es ist noch viel zu früh, diese Entwicklungen zu bilanzieren. Erlaubt sein muss aber die Anfrage an alle Beteiligen, ob nicht die Erfahrungen der letzten Jahre, vor allem der letzten zwei Jahre, sowie die programmatischen An- sprüche darauf hindeuten, dass mit der Kooperativen Ganztagsbildung, sollte sie auch nur näherungsweise in allen ihren Wortkomponenten realisiert werden können, sich ein neues Sozialisationsfeld mit eigenen Strukturen, Funktionen, Aufgaben, Praxen, Rahmenbedingungen und fachlichen Standards herausbildet. Dies wäre folgenreich für beide Seiten. Nicht mehr das Beharren auf jeweils die eigene Identität stiftendem Selbstver- ständnis und Handlungslogiken – und dies ggf. in scharfer Abgrenzung zur jeweils anderen Seite –, verbunden mit der sorgenvoller Reflexion, wie diese möglichst unbeschädigt durchzusetzen seien, stünden im Zentrum, sondern die Herausbildung und das Ringen um neue Gemengelagen, bei denen beide Seiten ein Stück aufeinander zugehen müssten. Die These also lautet, dass mit der Koo- perativen Ganztagsbildung – gegebenenfalls noch befeuert durch den irgendwann in Kraft tretenden Rechtsanspruch für Grundschulkinder – ein neues hybrides Teilsystem des Aufwachsens von Kindern entsteht, an dem die Grundschule und die Kin- der- und Jugendhilfe, dabei vorrangig Kinder- und Jugendarbeit, aber eben nicht nur, sowie möglicherweise auch die Behindertenhilfe im Kontext einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe beteiligt sind. Eine Pointe dabei ist, dass dabei auch das Denken in Kategorien von Kooperation und Zusammenarbeit, das immer noch von zwei Systemen ausgeht, zu kurz greift. Es geht um mehr als Kooperation. Christian Lüders, Deutsches Jugendinstitut So könnte man Kooperative Ganz- tagsbildung übersetzen: Zusammen- wirken der Professionen – damit Bildungsangebote wachsen Grafik: Gerd Altmann, pixabay.de

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjk2NDUy