K3 No. 5 - November 2020

| 05 | 2020 17 Bilder (im Kopf) Schwerpunkt Frames als Hilfsrahmen Von engagierten Schulschwänzern Frames unterstützen als Deutungsrahmen die Alltagskommuni- kation. Soziale Prozesse der Interaktion können damit aber auch strategisch beeinflusst werden. Geht es überhaupt ohne Framing? Fragen an Dr. Viorela Dan, LMU München. Weltretter und Klimaschützerinnen oder faule Schulschwänzer? Für beide Positionen gibt es einen Frame. Frames – das Ende des eigenständigen Denkens? Nein, das bestimmt nicht. Wir müssen allerdings zwischen strategischen und Alltags-Frames unterscheiden. Zum einen verwenden zahlreiche Akteure Frames als strategisches Instrument, um eine Position durch- zusetzen – etwa in der Politik. Sie stellen eine Interpretation eines Streitthemas in den Vordergrund, indem sie das Problem auf eine bestimmte Art und Weise definieren, die für sie vorteilhaft erscheint. In diesem Fall lohnt es, sich Gedanken darüber zu machen, ob man ein Urteil eigenständig oder unter Einfluss von außen gefällt hatte. Zum anderen kommen wir im normalen Leben ohne Frames kaum aus. Sie werden oft unbewusst verwendet, denn sie helfen uns, die Komplexität der Welt zu bewältigen. Sie erscheinen derart natürlich, dass wir sie nicht hinterfragen, weil sie am ehesten mit unserer Weltanschauung korrespondieren. Die meisten Menschen haben gar nicht die Zeit und die Energie, sich über alle Aspekte eines Themas zu informieren. Hier bieten Frames Orientierungshilfe und ermöglichen schnelle – wenn auch womöglich unfaire – Urteile. Ich glaube nicht, dass uns Frames per se zu Marionetten anderer Mächte machen. Denn Frames lassen sich auflösen. Einem Frame kann also ein anderer entgegengesetzt werden – solche Aushandlungsprozesse, auch Framing-Wettbewerbe genannt, sind ausgesprochen wichtig. Ein Frame gibt Antworten, die ich selbst nicht habe? Das könnte man so formulieren. Ganz genau wissen wir das noch nicht. Es besteht die Möglichkeit, dass Menschen, die an einer Studie teilnehmen, nicht zugeben wollen, dass sie keine Haltung zu einem Thema haben. Hier ist es also leicht, einfach einen Frame zu akzep- tieren und wiederzugeben. Eine andere Möglichkeit ist, dass wir eine Studie so anlegen, dass Teilnehmende kaum Gelegenheit haben, uns mitzuteilen, dass sie keine Haltung haben. Geschlossene Fragen sind zumindest bei neuen Themen – zu denen viele Menschen keine Meinung haben (können) – nicht unbedingt hilfreich. Häufig wird Studienteil- nehmenden ein Artikel gezeigt, der einen Frame enthält. Anschließend wird mit geschlossenen Fragen überprüft, ob die Teilnehmenden den Frame angenommen haben oder nicht. Dies ist stark vereinfachend, denn außerhalb des Forschungslabors treten Menschen selten mit nur einem Deutungsmuster zu einem Streitthema in Kontakt. In der „Welt da draußen“ finden ja Framing-Wettbewerbe statt. Kurzum: Es könnte sein, dass wir die Macht von Frames etwas überbewerten. Was sagen Sie zum Frame „Jugend ist faul“? Sie spielen damit auf die „Fridays for Future“-Demos an. Ich bin mir sicher, dass dieser Frame vor allem dann bei Menschen ankommt, wenn sie sich von dem Thema nicht betroffen fühlen. Wenn ich mich für Kli- mawandel nicht interessiere und ich nur wenig Kontakt zu Jugendlichen habe, besteht die Möglichkeit, dass ich ein schnelles Urteil über die Demos fällen möchte, um mit meinem gewohnten Leben weitermachen zu können. All das ist menschlich und verständlich, aber für die betrof- fenen Jugendlichen natürlich suboptimal. Bei zwei konkurrierenden Frames sagen zwar die einen, dass es faule Jugendliche sind, die nur die Schule schwänzen wollen. Ein anderer Frame sagt jedoch, dass das engagierte junge Menschen sind. An dieser Stelle wird es spannend, denn es gibt durchaus Möglichkeiten, den eigenen Frame wirkungs- voller zu gestalten. Grundsätzlich ist es jedoch so, dass sich wirkmächtige Akteure auch eher mit ihrem Deutungsrahmen durchsetzen – nicht zuletzt deshalb, weil sie über die entsprechenden Ressourcen verfügen. Es gibt jedoch auch eine Fertigkeitsebene. Durch sie können die vermeintlichen Un- derdogs mehr Schlagkraft erringen. Man kann sich also Frames nutzbar machen? Ja, man kann und muss sogar, um im öffentlichen Diskurs mitzumischen. Es wäre unklug, den anderen das Feld zu überlassen, wenn man der Meinung ist, dass deren Darstellung falsch ist. Wir wissen aber auch: Es genügt nicht, einem falschen Frame einfach zu widersprechen. Es kommt darauf an, eine andere wahre Geschichte zu erzählen. Ist man also der Meinung, dass es sich bei Fridays for Future um engagierte Jugendliche handelt, muss man sich auf diese Darstellung fokussie- ren und sich nicht darauf beschränken, gegen den falschen Frame zu argumentieren. Frames sind also Fakten plus Emotionen plus Kontext? Das kann man so sagen. Außerdem sind Frames auch eine Frage der Betonung. Was stelle ich in den Vordergrund? Es ist ein erheblicher Unterschied, ob man sagt, dass an einer Krankheit 60 Prozent der Betroffenen sterben oder 40 Prozent überleben. Muss Framing als Kulturtechnik verstanden und vermittelt werden? Das wäre gut. Hier setzen sogenannte Literacy-Programme an, die vermitteln, wie man „die Welt liest“ – sich in ihr orientieren und zu- rechtfinden kann. Eine Ausweitung solcher Programme wäre sinnvoll und wichtig; kritische Fragen stellen, Quellen prüfen, sich mit dem Thema auseinandersetzen. In der Realität wird man aber leider oft von der Menge an Informationen überwältigt. Diese Funktion müssten Medien übernehmen? Unter anderem; zahlreichen Medien gelingt es bereits, mehrere Seiten eines Streitthemas zu beleuchten und zu diskutieren. Das wäre ein idealtypischer Framing-Wettbewerb, der öffentlich ausgetragen wird und in dem sich idealerweise das bessere Argument durchsetzt und dies basierend auf Fakten. Framing – Fluch oder Segen? Weder das eine noch das andere. Sagen wir es so: Es empfiehlt sich, die dahinterliegenden Mechanismen zu verstehen, um zu erkennen, Foto: Dominic Wunderlich, pixabay.de

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