K3 No. 3 - Juli 2020

| 03 | 2020 29 Widerstand Schwerpunkt Armeniens Jugend während der Samtenen Revolution Das Land gehört der Jugend Die Samtene Revolution ist eines der wichtigsten Ereignisse in der jüngeren armenischen Geschichte. Bis zu diesem Zeitpunkt lebten die Menschen in einer korrupten Gesellschaft, in der die grundlegenden Menschenrechte mehr als 30 Jahre lang verletzt wurden. Deshalb brauchte es nur einen einzigen Menschen, um die Nation zusammenzubringen und dafür zu kämpfen, in einem besseren Land mit einer ehrlichen und bürgernahen Regierung zu leben. Allerdings ist kaum bekannt, dass es vor allem junge Menschen waren, die die Revolution vorangetrieben hatten. Alles begann damit, dass ich eines Tages vom Zentrum Eriwans (ar- menische Hauptstadt, Anm.d.R.) aus zur Amerikanischen Universität von Armenien ging, wo ich damals Student im ersten Studienjahr war. Ich bemerkte, dass sich etwa 20 bis 30 Menschen um eines unserer Parlamentsmitglieder, Nikol Pashinyan, versammelt hatten, der in der Menge einen Vortrag hielt. Als ich näher kam, sah ich, dass die meisten Zuhörerinnen und Zuhörer der Regierungspartei angehörten, die von ihm geführt wurde. Als ich am nächsten Tag den gleichen Weg entlang ging, hielt der Politiker erneut einen Vortrag. Diesmal hörten ihm schon mehr als 50 Menschen zu. Ich beschloss, mich ihm anzuschließen. Voller Bewunderung hörte ich seine Ideen dazu, wie wir alle gegen das alte System kämpfen können, das jahrelang gelogen und die Bevölkerung bestohlen hatte. Ich war aufgeregt und erzählte den meisten meiner Freunde und meiner Familie davon. Meine Eltern und meine Großmutter glaubten – wie die meisten älteren Menschen – nicht daran, dass wir etwas erreichen könnten. Mein Freundeskreis hingegen war überzeugt davon. Es wurden immer mehr So gingen ich und einige meiner Freundinnen und Freunde am nächsten Tag zum bekannten Treffpunkt. Wir bemerkten, dass sich die Zahl der Menschen bereits verdreifacht hatte und die Straßen blockiert Schweres Erbe, unsichere Zukunft. Vor der Jugend in Armenien liegt noch ein weiter Weg zur Demokratie waren. Da wurde mir klar, dass etwas Großes passieren würde, und ich wollte alles tun, um dazu beizutragen. Während der nächsten zwei Wochen begannen meine Mitstudierenden und ich, den Unterricht zu boykottieren und zivilen Ungehorsam auf die Straßen zu tragen. Am Anfang war es wirklich schwer. Wir hatten einen Streit mit unserer Studentenratsvorsitzenden, die wie alle Stu- dentenratsvorsitzenden anderer Universitäten in Armenien der Repu- blikanischen Partei (damals Regierungspartei, Anm.d.R.) angehörte. Wir hatten keine Ahnung, wie unsere Noten ausfallen würden, wenn wir eine Woche oder länger alle Kurse versäumten. Wir schämten uns auch ein wenig dafür, die Straßen zu blockieren und das tägliche Leben der Menschen zu stören. Aber all diese Gedanken verschwanden, als wir begannen, ungehorsam zu sein, und erkannten, dass wir dies mit einem bemerkenswerten Effekt taten. Ich erinnere mich an einen Tag, an dem es stark regnete und ich und 30 andere Studierende meiner Universität alle Hauptstraßen des Platzes der Republik in Eriwan für etwa 30 Minuten blockierten. Als die Polizei kam, rannten wir in die U-Bahn und fingen an, englisch zu sprechen, wobei wir so taten, als seien wir Touristen. Ein anderes Mal liefen einige meiner Freunde und ich vor der Polizei weg und suchten Schutz in einer Apotheke, wo die Angestellten uns mit köstlichem armenischen Dolma verwöhnten. Viele Geschäfte und einzelne Men- schen verteilten Lebensmittel an die Demonstrierenden, weil wir keine Zeit zum Einkaufen oder Essen hatten. Leider wurden einige unserer Freundinnen und Freunde zu Polizeistationen gebracht und verhört. Die meisten von ihnen kannten jedoch ihre Rechte genau und wurden schnell wieder freigelassen. Ich kann die Rolle der jungen Freiwilligen armenischer NGOs in dieser Situation nicht genug betonen, denn sie

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjk2NDUy