K3 No. 3 - Juli 2020
Dachzeile 26 das kommt | 03 | 2020 Widerstand Schwerpunk Ausdrucksformen haben eine politische Dimension. Seit Jahrhunderten sind Tanz und Politik auf vielfältige Weise miteinander verflochten. Erst waren es scheinbar nur zufällig einige Frauen, die sich auf einem Platz im Istanbuler Stadtteil Kadıköy trafen, doch schnell wurden es viele. Am Ende waren es mehr als 300 Frauen, die sich in Reihen ge- staffelt aufstellten. Wie aus dem Nichts tauchten auch Trommlerinnen auf. Bevor ein Polizist, der gerade in der Nähe war, erkannt hatte, was los war, legten die Frauen los. Geboten wurde eine Performance, ein rhythmischer Tanz mit Sprechgesang, der enorme Power ausstrahlte. In ihrem Gesang verwahrten die Frauen sich dagegen, dass Männer, Polizisten und Gerichte immer wieder versuchen, ihnen selbst die Schuld für Vergewaltigungen zuzuschieben. München protestiert und tanzt mit One Billion Rising (OBR) ist die weltweit größte Kampagne gegen Gewalt an Mädchen und Frauen. Um auf das Thema aufmerksam zu ma- chen, finden in über 200 Ländern Tanz-Flashmobs statt. Die Kampagne wurde 2012 von der New Yorker Künstlerin und Aktivistin Eve Ensler initiiert. Anlass war eine UN-Studie, nach der weltweit jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens geschlagen oder vergewaltigt wird. Auf die Welt- bevölkerung umgerechnet, ergibt das rund eine Milliarde Frauen, die Gewalt erlebt (engl.: one billion). Der Name der Kampagne war geboren. Genauso viele Menschen tanzen jährlich am Tag der Liebe im Februar; nicht still, sondern gemeinsam mit anderen Frauen und Mädchen, um Tanzen und Widerstand Weil Tanz eine inter nationale Sprache ist Kann tanzen politisch sein? Unbedingt! Wenn Menschen weltweit bereits zum achten Mal für die Rechte von Mädchen und Frauen im öffentlichen Raum einen Tanz-Flashmob inszenieren, ist das ein klares politisches Statement. Wir sind hier, wir sind laut, wir kämpfen für die Rechte der Frauen Musik und Tanz als friedliche und wirkungsvolle Methode von De- monstrationen wurden auch im Fall des in den USA ermordeten George Floyd zum politischen Statement. Ein historischer Exkurs zeigt, dass Musik und Tanz schon immer wirkungsvolle Mittel des Widerstands gegen Gewalt und Rassismus und für mehr Respekt gelten können. Gesungen und getanzt wurde beispielsweise während der Protestak- tionen der afroamerikanischen Bevölkerung in den 1950er und 1960er Jahren. Untersuchungen belegen, dass Singen die Angst verringerte, wenn beispielsweise Sheriffs ihre Hunde auf die Demonstrierenden hetzten. Es schweißte zusammen, wenn weiße Rassistinnen und Rassi- sten mit Steinen bewaffnet entlang der Straße auf die Protestierenden warteten. Gesang und Tanz machten Mut, wenn es zu Massenverhaf- tungen kam. Politisch motivierte Flashmobs und Performances reagieren mit zeitgenössischen Tanzformen auf aktuelle Fragen in der Gesell- schaft. Ist es zum Beispiel möglich, mit dem Körper Antworten auf Unterdrückung zu geben? Die Theater- und Tanzwissenschaftlerin Susanne Foellmer erklärt, wie eine solche Art von Protest öffentlich Wirkung zeigen kann: In Ostafrika, wo oft ethnische Konflikte die Politik bestimmen, wo meist alte, korrupte Männer den Ton angeben, bietet die Musik den jungen Menschen etwas, das ihnen die Politik verwehrt. HipHop verleiht der Jugend eine Stimme, klärt auf, klagt an und lässt Grenzen verschwinden. Von „unchristlich“ bis „staatsfeindlich“ reichen die Schmähungen, denn Tanz ist nicht bloß ein ästhetisches Vergnügen. Tänzerische Foto: KJR
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